Jahr Zitate (Seite 19)
Grabschrift unsres Haushahns
An diesem Baume ruht
der Haushahn, treu und gut.
Er führt' ins achte Jahr
der lieben Hennen Schar.
Als wackrer Ehemann
rührt' er kein Krümchen an,
was wir ihm vorgebrockt,
bis er die Fraun gelockt.
Nun strotzt er nicht mehr
im Hofe stolz umher
und jagt aus seinem Ort
des Nachbarn Hühner fort.
Nun schützt er nicht vor Graun
im Sturm und Nacht die Fraun.
Nun wecket uns nicht früh
sein helles Kikeriki.
Vor Alter blind und taub,
sank er zuletzt in Staub.
Sein Kamm, so...
Johann Heinrich Voß
Schafott
Drei Stufen aufwärts
zu gehen auch mit kleinem Schritt
denn stolpern soll hier niemand mehr –
noch soll man geh’n mit festem Schritt.
Die Schärfe blinzelt in die Sonne
Fanfaren klingen hell und klar:
Im Jubel, unter heit’rem Himmel
soll sterben, was voll Leben war.
Ein Delinquent nur ist es heute
Oh, wie er schreit, oh, wie er flennt
Und nur durch eins kann man ihn läutern:
Daß man ihn flugs vom Leben trennt.
Er ist noch Kind, kaum sieben Jahr
Und dennoch hat er es...
Götz vor dem Gentschenfelde
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise
Es ist der Liebe milde Zeit
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Georg Trakl
Frohsinn
Nur die Heiterkeit ist Leben,
Selbst das Alter wird verjüngt,
Wem der Scherz, der Saft der Reben,
Jugend lachend wiederbringt,
Der mag manches Jahr noch leben,
Lust und Frohsinn ihn umschweben.
Und dem Greise selbst gelingt,
Sich der Sorgen zu entheben;
Mir die Heiterkeit ist Leben,
Selbst das Alter wird verjüngt.
Ludwig Tieck
O bleibe jung! Die Jahre fliehen,
Und Winter bald umzieht dein Haupt;
Dir welkt so viel, was einst gediehen,
Sorg', daß nicht alles dir geraubt!
O bleibe jung! In deinem Herzen
Bau' dir der Jugend Frohnatur,
Was dann auch kommt, du wirst's verschmerzen,
Im Herzen Blüten, Schnee im Haar!
Peter Sirius
Wenn alles da war, wenn nichts Neues lebt,
So ist der Geist in seiner Hoffnung blind,
Der in den Wehen neuen Schaffens bebt
Und nur nochmals trägt ein vorhandnes Kind.
O, könnten rückwärts meine Augen spähen
Fünfhundert Jahre mit der Sonne Lauf,
Dein Bild in einem alten Buch zu sehen,
Da Schrift zuerst nahm den Gedanken auf;
Gern sähe ich, wie man in alten Tagen
So stolz gefügtes Wunderwerk besang,
Ob jene uns, ob wir sie überragen,
Ob alles gleich blieb in der Zeiten Gang;
Doch sicher weiß...
William Shakespeare
Fünfzehn
Jahre bin ich alt,
enttäuscht,
unglücklich verliebt.
Mein ganzes Weltbild ist mal wieder–
zusammengebrochen.
Alle gleich!
Meine Mutter sieht
mich lächelnd an,
streicht mir über die Haare
und bemerkt kopfschüttelnd:
"Kind, Kind…
Wenn du dich anlehnen willst,
halt dich nicht an einem Mann fest.
Such dir ein Geländer.
Ute Maria Seemann
Odysseus
Odysseus wollte nur
zum nächsten Kiosk geh'n,
um sich sein Abendbier zu holen.
So, wie er es immer tat.
Sie hatten Streit gehabt;
er und Penelope.
Telemach schlief sanft
in seinem Bette.
Odysseus wollte nur,
wie schon gesagt,
zum nächsten Kiosk geh'n.
Doch, nur der Zeus mag wissen,
wer aus seiner Sippe
an welchem Strange zog.
Die Zeit ging durcheinander;
Es dehnte sich der Raum,
und es vergingen Jahre,
bevor Odysseus
nach Hause wieder kam
und fragte,
wo der Flaschenöffner sei.
Manfred Schröder