Zeit Zitate (Seite 69)
Lieben
Ob du's noch denkst, daß ich dir Äpfel brachte
und dir das Goldhaar glattstrich leis und lind?
Weißt du, das war, als ich noch gerne lachte,
und du warst damals noch ein Kind.
Dann ward ich ernst. In meinem Herzen brannte
ein junges Hoffen und ein alter Gram ...
Zur Zeit, als einmal dir die Gouvernante
den ›Werther‹ aus den Händen nahm.
Der Frühling rief. Ich küßte dir die Wangen,
dein Auge sah mich groß und selig an.
Das war ein Sonntag. Ferne Glocken klangen,
und Lichter gingen durch...
Rainer Maria Rilke
Leise von den Alleen
Ergriffen, rechts und links,
Folgend dem Weitergehen
Irgendeines Winks,
Tritts du mit einem Male
In das Beisammensein
Einer schattigen Wasserschale
Mit vier Bänken aus Stein;
In eine abgetrennte
Zeit, die allein vergeht.
Auf feuchte Postamente,
Auf denen nichts mehr steht,
Hebst du einen tiefen
Erwartenden Atemzug;
Während das silberne Triefen
Vor dem dunkeln Bug
Dich schon zu den Seinen
Zählt und weiterspricht.
Und du fühlst dich unter Steinen,
Die hören, und rührst...
Rainer Maria Rilke
Das waren Tage Michelangelo's,
von denen ich in fremden Büchern las.
Das war der Mann, der über einem Maß,
gigantengroß,
die Unermeßlichkeit vergaß.
Das war der Mann, der immer wiederkehrt,
wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert,
da sie sich enden will, zusammenfaßt.
Da hebt noch einer ihre ganze Last
und wirft sie in den Abgrund seiner Brust.
Die vor ihm hatten Leid und Lust;
er aber fühlt nur noch des Lebens Masse
und daß er Alles wie ein</em> Ding umfasse, –
nur Gott bleibt über seinen...
Rainer Maria Rilke
Gott
So bin ich nur als Kind erwacht,
so sicher im Vertraun,
Nach jeder Angst und jeder Nacht
Dich wieder anzuschaun.
Ich weiß, so oft mein Denken mißt:
wie tief, wie lang, wie weit, –
Du aber bist und bist und bist,
Umzittert von der Zeit.
Mir ist als wär' ich jetzt zugleich
Kind, Knab und Mann und mehr,
Ich fühle: nur der Ring ist reich
Durch seine Wiederkehr.
Ich danke Dir, Du tiefe Kraft,
Die immer leister mit mir schafft
Wie hinter vielen Wänden;
Jetzt ward mir erst der Werktag...
Rainer Maria Rilke
Die Sonnenuhr
Selten reicht ein Schauer feuchter Fäule aus dem Gartenschatten,
Wo einander Tropfen fallen hören
Und ein Wandervogel lautet,
Zu der Säule, die in Majoran und Koriander steht
Und Sommerstunden zeigt;
Nur sobald die Dame (der ein Diener nachfolgt)
In dem hellen Florentiner über ihren Rand sich neigt,
Wird sie schattig und verschweigt.
Oder wenn ein sommerlicher Regen aufkommt
Aus dem wogenden Bewegen hoher Kronen,
Hat sie eine Pause;
Denn sie weiß die Zeit...
Rainer Maria Rilke
Ende des Herbstes
Ich sehe seit einer Zeit,
Wie alles sich verwandelt.
Etwas steht auf und handelt
Und tötet und tut Leid.
Von Mal zu Mal sind all
Die Gärten nicht dieselben;
Von der gilbenden zu der gelben
Langsamem Verfall:
Wie war der Weg mir weit.
Jetzt bin ich schon bei den leeren
Und schaue durch die Alleen.
Fast bis zu den fernsten Meeren
Kann ich den ernsten schweren
Verwehrenden Himmel sehn.
Rainer Maria Rilke
Zu solchen Stunden gehn wir also hin
und gehen jahrelang zu solchen Stunden,
auf einmal ist ein Horchender gefunden –
und alle Worte haben Sinn.
Dann kommt das Schweigen, das wir lang erwarten,
kommt wie die Nacht, von großen Sternen breit :
zwei Menschen wachsen wie im selben Garten,
und dieser Garten ist nicht in der Zeit.
Und wenn die beiden gleich darauf sich trennen,
beim ersten Wort ist jeder schon allein.
Sie werden lächeln und sich kaum erkennen,
aber sie werden beide größer sein…
Rainer Maria Rilke
Das ist die Sehnsucht
Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
Rainer Maria Rilke
Zum Einschlafen zu sagen
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und ich möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf...
Rainer Maria Rilke
Alle, welche dich suchen,
versuchen dich.
Ich aber will dich begreifen,
wie dich die Erde begreift -
Ich will von dir keine Eitelkeit,
die dich beweist.
Ich weiß, daß die Zeit
anders heißt
als du.
Tu mir kein Wunder zulieb,
gib deinen Gesetzen recht,
die von Geschlecht zu Geschlecht
sichtbar sind.
Rainer Maria Rilke
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter...
Rainer Maria Rilke
Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.
Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.
Knaben, o werft den Mut
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.
Alles ist ausgeruht:
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.
Rainer Maria Rilke
Kerzenlicht
Ein flackernd kleines Kerzenlicht,
das Frieden reflektiert,
im rosaroten Kerzenwachs,
das seine Form verliert,
in Tropfen, die den Tränen gleich
erstarrt in seiner Spur,
erhellt und wärmt es da und dort
für wenig Stunden nur;
verbindet uns in Freud und Leid
ist Trost in vielen Händen
will dir und mir zur rechten Zeit
ein leuchtend Lächeln spenden.
Ingrid Riedl