Welt Zitate (Seite 86)
Der Halbpoet
Es ist die allergrößte Pein,
Ein Halbpoet geboren sein,
Zu tragen in sich unerhellt
Das Chaos einer ganzen Welt,
Aus dessen Gähren, dessen Ringen
Kein ganzes Leben will entspringen.
Zu steh'n in heißen Durstesqualen
Im Zauberborn des Idealen,
Das Schöne liebend zu bereifen,
Heran zur höchsten Klarheit reifen,
Im Reinen wandeln und im Wahren –
Ohnmächtig es zu offenbaren.
In dir ein Schaffen unbewußt,
Ein lautlos Schrei'n in deiner Brust,
Ein Wogen, Keimen, Knospensprengen,
Ein...
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Gesinnung
Wie auch toll die Welt es treibe,
Wie auch alles sich verkehre,
Daß sich selbst er treu verbleibe,
Ist des Mannes Stolz und Ehre.
Was da glitzert, schillert, flimmert,
Staunend mag's der Markt begaffen,
Doch du sollst drum unbekümmert
Immer nur das Rechte schaffen.
Karl Egon Ritter von Ebert
Gedankliches
Ich sitze hier
in den Wäldern
im Schatten des Berges
dessen Namen ich nicht kenne
der Baumstumpf unter mir
drängt mir mit seiner harten Feuchtigkeit
Gedanken des Lebens in den Kopf
wenn ich in die Ferne sehe
zu einem von Gehölz verdeckten Horizont
um seine Grenzen zu verlassen
wohin werde ich gelangen
wenn ich von einem Horizont zum nächsten schwebe
die Unbegrenztheit der Unendlichkeit verlassend
in welchen Alleen werde ich sein
die alle noch immer nicht
das Alles sind
der...
Gerald Dunkl
O mach mich mild! Gib mir für fremden Schmerz
Ein göttlich Neigen und ein warm Erkennen;
Und laß um ein zertretnes Menschenherz
In meinem Herzen tausend Wunden brennen.
Gib meinem Ringen nur das fromme Glück,
In jedem Dunkel deinen Stern zu sehen;
Und laß mich still mit weichem Kindesblick
Durch eine Welt der Nacht und Sünde gehen.
Doch sieht die Schuld mich hilfeflehend an
Und windet sich, von Reuequal zerrissen,
So gib, daß ich die goldne Binde dann
Mit Freuden tausche um ein heilig...
Hedwig Dransfeld
Lies nur ein paar Worte, wenn du willst
Und sprich noch weniger,
Aber handle nach den Gesetzen der Lehre,
Gib die alten Wege der
Leidenschaft, Feindschaft und Täuschung auf
Und gewinne Einsicht und einen freien Geist,
Der an nichts in dieser oder der nächsten Welt gebunden ist.
Dann wirst du am vollendeten Leben teilnehmen!
(20. Vers)
Dhammapada
Ein jeder rühmt die Dankbarkeit,
Und in der That läßt man sie selten blicken:
Wie ehrerbietig läßt die Welt sich vor dir bücken,
Bis du dich zeigst zu ihrem Dienst bereit:
Doch, nach dem allgemeinen Lauf,
Hört die Erkenntlichkeit auch mit der Wohltat auf.
Ja, mancher wird sich deiner schämen:
Er will bei dir in keinen Schulden stehn,
Ob er ich gleich im Unglück nicht entstehn,
Die Hilfe von dir anzunehmen.
Madame Antoinette du Ligier de La Garde Deshoulières
Sehnsucht
Sanfte Zärtlichkeit
schwingt in der Luft
wie Musik.
In Gedanken fasse ich
nach Deiner Hand,
finde sie aber nicht.
Ich kuschle mich an Dich,
doch Du nimmst
mich nicht wahr.
Denn Deine Gedanken
sind nicht bei mir.
Trotzdem gibst Du mir
Trost und Halt,
denn ohne Dich, wäre
meine Welt noch leerer.
Die Phantasie läßt
mich erleben, was mir
nicht mehr vergönnt ist.
Ann Theres Dell
Sühne
Erwachen endlich denn die Töne wieder,
die mir so dumpf und schwer im Herzen schliefen?
Oh steigt empor aus euren dunklen Tiefen,
schwingt rauschend auf zum Licht euch, meine Lieder!
Nehmt mit die Thränen alle im Gefieder,
die Thränen der Geliebten, die euch riefen!
aus euren sel'gen Höhen laßt sie triefen
wie Tau des Himmels dann auf mich hernieder!
Daß sie mir fluten durch die stillsten Gründe
der kranken Seele und gesund sie baden,
bis ich, erlöst von aller meiner Sünde,
mich vor mir...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Bekenntnis
Ich will ergründen alle Lust,
so tief ich dürsten kann;
ich will sie aus der ganzen Welt
schöpfen, und stürb' ich dran.
Ich will's mit all der Schöpferwut,
die in uns lechzt und brennt;
ich will nicht zähmen meiner Glut
heißhungrig Element.
Ward ich durch frommer Lippen Macht,
durch zahmer Küsse Tausch?
Ich war erzeugt in wilder Nacht
und großem Wollustrausch!
Und will nun leben so der Lust,
wie mich die Lust erschuf,
Schreit nur den Himmel an um mich
ihr Beter von Beruf!
Richard Fedor Leopold Dehmel
Sommerabend
Klar ruhn die Lüfte auf der weiten Flur;
fern dampft der See, das hohe Röhricht schimmert
im Schilf verglüht die letzte Sonnenspur;
ein blasses Wölkchen rötet sich und schimmert.
Vom Wiesengrunde naht ein Glockenton;
ein Duft von Tau entweicht der warmen Erde,
im stillen Walde steht die Dämm'rung schon,
der Hirte sammelt seine satte Herde.
Im jungen Roggen rührt sich nicht ein Halm,
die Glocke schweigt wie aus der Welt geschieden;
nur noch die Grillen geigen ihren Psalm.
So sei...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben,
und jeder lebt so völlig wie er liebt:
Die Seele will, was sie erfüllt, hingeben,
damit die Welt ihr neue Fülle gibt.
Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten
im kleinsten Kreis die große Pflicht:
Wir alle leben vom geborgten Licht
und müssen diese Schuld zurückerstatten.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Der Stieglitz
Die Sonne blitzt, ein Distelfeld
belebt die stille Mittagswelt;
im starrgezackten Blättermeer
glühn purpurlockig kreuz und quer
die Blütenköpfe.
Und durch den eisengrauen Busch,
ein bunter Vogel, hupp, hupp, husch,
hüpft durch das wilde Staudenheer,
als ob es ohne Stacheln wär:
ein junger Stieglitz.
Wie wirr, wie wunderlich geschweift!
Ein leichtes Lüftchen kommt und greift
von Blütenspeer zu Blütenspeer
und wirft die Schatten hin und her;
weg ist der...
Richard Fedor Leopold Dehmel