Tod Zitate (Seite 20)
Abstammung
Wir sind nur Blüten an einem Baum:
Ein jeder träumt seinen Blütentraum
Und weiß nicht viel vom Andern;
Wir brechen hervor aus Zweiglein und Ast,
Wir fühlen der Blätter und Blättchen Getast
Und der Winde und Wolken Wandern.
Der Baum der Menschheit, der uns trägt,
Der Sturmwind Tod, der uns niederfegt,
Sind's, die unser Dasein umründen.
Wir stammen aus Erde und Himmelslicht,
Mehr wissen auch unsere Weisesten nicht:
Den Stamm konnte keiner ergründen.
Ludwig Scharf
Novemberlied
Novembernebel füllen
Mit feuchtem Grau das Thal,
Als wollten sie verhüllen
Die Erde, kahl und fahl.
Mit seinem dunklen Saume
Gespenstisch ragt der Wald,
Daraus, so wie im Traume,
Von fern die Axt erschallt.
Den Pfad mit kühlem Hauche
Umwittert ödes Weh',
Verwaist am dorn'gen Strauche
Bebt Hagebutt' und Schleh'.
Wohin die Schritte streben,
Versinkt der Fuß im Koth –
Mühselig ist das Leben
Und traurig wie der Tod.
Ferdinand von Saar
Trauer
Frühe schon aus leisem Schlummer
Stört mich auf der wache Kummer,
Und mit stumm getrag'ner Pein
Schreit' ich in den Tag hinein.
Immer schwerer das Vollbringen,
Immer selt'ner das Gelingen,
Und es schwindet die Geduld –
Und ich fühl' die eig'ne Schuld.
Fühl' es mit geheimem Beben:
Uferlos verrinnt mein Leben
In ein Meer von Qual und Noth –
...
Ferdinand von Saar
So ist's
Das aber nehmt euch einmal zu Verstande:
Daß einer nie sein Höchstes kann vollbringen,
Wenn nicht ein Gott ihm gnädig löst die Schwingen,
Und nicht ein günst'ger Wind ihn treibt vom Strande.
Denn nie gedeiht der Baum in dumpfem Sande,
Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen –
Und ernstes Tun kann stets nur halb gelingen,
Wenn sich die Mitwelt freut an hohlem Tande.
Ja, ob auch eigne Kraft und tiefstes Wollen
Die Größe hebt aus den gemeinen Gleisen:
Des Lebens Mächten muß ein...
Ferdinand von Saar
O wein' dich aus an meiner Brust,
Laß in dein Herz mich seh'n;
Und wärst du noch so schuldbewußt:
Ich kann dich ganz versteh'n.
Denn nennen kannst du mir kein Leid,
Das nicht schon traf auch mich;
Auch mir droht noch Vergangenheit –
Und schuldig war auch ich.
Auch meine Wange hat gebrannt
In der Beschämung Rot –
Verloren hab' ich mich genannt
Und mir erhofft den Tod.
D'rum wein' dich aus an meiner Brust,
Ich kann dich ganz versteh'n,
Und wärst du noch so schuldbewußt:
Getröstet wirst du geh'n!
Ferdinand von Saar
Zuletzt
Weh' dem, der da sein eignes Tun zu richten
Begonnen hat! Dann zählt er zu den Kranken
Und schaudernd fühlt er keimen den Gedanken:
Sich selbst erkennen, heißt sich selbst vernichten.
Denn auf sein Wesen muß er stumm verzichten,
Und wie die liebsten Hoffnungen ihm sanken,
Lebt er dahin in haltlos ödem Schwanken
Und wünscht den Tod herbei, die Qual zu schlichten.
Darum frohlockt nicht so beim Weiterschreiten!
Das Dasein ist ein großes Sichbesinnen –
Und ein Erkennen jeder Sieg im...
Ferdinand von Saar
la specola
leichenteile
auf seidenen kissen
aufgebrochen
der leib
entstülpt
der schönen oberfläche
zu bizarren schichtungen
das geplatzte geheimnis
wachsiger lymphknoten
der immense bedarf
an frischen kadavern
walstatt
der pathologischen
anatomie
sezierter markanz
blutiger draperien
desolat
in einer art dämmerzustand
magentafarben
leicht zurückgebogen
der frauenkörper
mit gesäßlangen dunklen haaren
weibliche weichzeichen
büstemporen
poliiert...
Peter Rudl
Galoppierende Tote
artistische Träume
Südliches
tief abyssal
tags suizidale Tendenzen
ungesichts
plastinierte Paarungskrämpfe
trisometrisches Kriechen
lausig verlarvt
verbrauchte Begriffe
eines verbrauchten Lebens
das sich ohne einen Begriff
von Tod
zähflüssig
griechend
quälend
zeitlupengrieselnd
abnutzt
Peter Rudl
Abzuschaffen geschärfte Todesarten,
Abzustellen den Graus der Folterkammern,
War wol unseren aufgeklärten Zeiten
Vorbehalten zu einem Ruhm. Doch leider
Daß unschuldige Menschenleben gleichwohl,
Von Krankheiten gespannt auf Folterbetten,
Schwerem langsamem Tod entgegen schmachten!
Ach wenn menschlicher auch die Menschen wurden,
Unsre Mutter Natur, sie ist bei ihrer
Alten heiligen Barbarei geblieben.
Friedrich Rückert
Glücklich, ihr, daß ihr der Welt entronnen
Glücklich ihr, daß ihr der Welt entronnen,
Eh das Netz der Wirrung euch umsponnen,
Das um die da leben wirft das Leben,
Und nicht Einsicht kann's, nur Tod, entweben.
Wie sich Fremden, die sich lieben sollten,
Selbst sich wehthun, die sich wohlthun wollten,
Und so selten nur sich zwei verstehen,
Die zusammen eines Weges gehen.
Dieses Streits, mit halberwachtem Sinne,
Glückliche, seid ihr nicht worden inne,
Und nun seid ihr, wo er euch nicht irret,
Ihr...
Friedrich Rückert
Um Mitternacht
Um Mitternacht
Hab' ich gewacht
Und aufgeblickt zum Himmel;
Kein Stern vom Sterngewimmel
Hat mir gelacht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Hab' ich gedacht,
Hinaus in dunkle Schranken;
Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost gebracht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Nahm ich in Acht
Die Schläge meines Herzens;
Ein einz'ger Puls des Schmerzens
War angefacht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Kämpft' ich die Schlacht,
O Menschheit, deiner Leiden;
Nicht könnt' ich sie entscheiden
Mit meiner...
Friedrich Rückert
Wilde Ehe!
Sie leben in ›wilder Ehe‹,
So sagt des Volkes Mund;
Darob schreitet Ach und Wehe
Der Pharisäer Bund!
Ihr Herz ist rein und heilig,
Wie man sie auch verdammt;
Sie habens nur nicht eilig
Mit ihrem Standesamt!
Doch bei dem Paar da drüben,
Das kirchlich einst getraut,
Da schallt es oft von Hieben,
Da tönt das Fluchen laut.
Da zittern Weib und Kinder,
Vom Ehgemahl bedroht:
Sie fürchten von dem Sünder
Fast täglich ihren Tod!
Nun sagt mir, welche Ehe
Von beiden wirklich ›wild‹?
Die auf...
Hermann Roller