Stille Zitate (Seite 15)
Dornen
Hat dich im Winter ein Dorn gestochen
in deinen Finger, in dein Gemüte,
sei still! Im Lenze nach wenigen Wochen
versöhnt er dich mit lieblicher Blüte.
Und hast du Wunden und Weh zu klagen
von rauhen Dornen im Menschengarten:
du mußt nicht reuten, du mußt nur warten,
sie werden vielleicht dir noch Rosen tragen.
Friedrich Wilhelm Weber
In der Winternacht
Es wächst viel Brot in der Winternacht,
weil unter dem Schnee frisch grünet die Saat;
erst wenn im Lenze die Sonne lacht,
spürst du, was Gutes der Winter tat.
Und deucht die Welt dir öd und leer,
und sind die Tage dir rauh und schwer:
Sei still und habe des Wandels acht -
es wächst viel Brot in der Winternacht.
Friedrich Wilhelm Weber
Der Trappist
Es war der Pater Albertin
Trappist in Kentucky geworden,
Und dreißig Jahre schwieg er still,
Wie es Sitte ist in seinem Orden.
Doch jetzt, nach dreißig langen Jahren,
Hat er ein Weib zu sich genommen. –
"Der Sünder, der Ketzer, ist das ein Trappist?"
So zetern jetzt alle Frommen.
Der Mann war und ist ein braver Trappist
Und ist gar sehr zu beklagen. –
Doch jetzt, nachdem er verheiratet ist,
Da hat er erst recht nichts zu sagen! –
A. Wagner
Sommermittag auf dem Hochwald brütet,
Aber auf der Lichtung, treu behütet
Vom Geflechte dunkler Brombeerranken,
Wachen auf des Waldes Lichtgedanken.
Falter sind es, die so farbenprächtig,
Auf der Lichtung, sonnig halb, halb nächtig,
Diese Brombeerblüten still umbeben,
Purpurdisteln geistergleich umschweben.
Sagt mir an, ihr stillen Geisterfalter
Auf der Lichtung: wieviel Zeitenalter
Ihr im Banne laget bei den Toten,
Eh ihr wurdet solche Wunderboten?
Christian Wagner
Wir gingen atmend Arm in Arm,
am Frühlingsabend still und warm,
im Schatten grüner Schlehen
uns Veilchen zu erspähen.
Rot schien der Himmel und das Meer;
mit einmal strahlte groß und hehr
der liebe volle Mond daher.
Das Mägdlein stand und ging und stand
und drückte sprachlos mir die Hand.
Johann Heinrich Voß
Der Tag verblüht
Der Tag verblüht
Und in der heil'gen Stille
Stirbt hin das Lied,
Das klagende, der Grille.
Kein Lüftchen geht;
Das Bächlein murmelt leise
Im Kieselbett
Die alte Wanderweise!
Die Höh'n verglühn
Und es fängt an zu dunkeln –
Am Himmel blühn
Die Sterne auf mit Funkeln!
Ruh', ringsrum Ruh';
Ja, alles atmet Frieden:
O, gieb ihn du,
Natur, auch mir, dem Müden!
Jakob Vogel von Glarus
Der Schlaf
Man hat schon oft gesagt,
Du seiest des Todes Bild,
O Knabe, still und mild,
Süßer Schlaf!
Ich aber versteh' es:
Weil die wilden Gedanken,
Die umgetriebenen, todeskranken,
Nicht mehr sind.
Morden kann ich sie nicht,
Aber sie nicken und schlummern ein
In deinem Dämmerschein
Ganz sachte.
Bringst du denn nicht auch bald,
Wenn ich ruf' und stehe zu dir,
Deinen bleichen Bruder mir
An der Hand?
Bringst du ihn immer nicht?
Er hat, was das Herz vermißt,
Hat, was das Beste ist,
Kein...
Friedrich Theodor von Vischer
Auf irren Pfaden ohne Ende
Schritt ich dahin in banger Qual,
Mich führten deine lieben Hände.
Ich sah am Horizont, daß fahl
Ein schwacher Schein der Hoffnung glimme,
Dein Auge war der Morgenstrahl.
Ermut'gend durch die Nacht, die schlimme,
Kam nur der eig'nen Schritte Klang:
Geh weiter! sagte deine Stimme.
Mein Herz, so düster und so bang,
Es weinte still in bitt'rem Leide,
Die Liebe, die den Sieg errang
Hat uns geeint in sel'ger Freude!
(Übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth)</em>
Paul Verlaine
Ruhe
(übers. v. Richard Dehmel)
Ein großer schwarzer Traum
legt sich auf mein Leben;
alles wird zu Raum,
alles will entschweben.
Ich kann nichts mehr sehn,
all das Gute, Schlimme;
kann dich nicht verstehn,
o du trübe Stimme.
Eine dunkle Hand
schaukelt meinen Willen;
glättet mein Gewand,
still im Stillen.
Paul Verlaine
Herbstlied
In Seufzerlauten
schluchzen die Lauten
des Herbstes her,
verwunden mein Herz
mit dumpfem Schmerz
eintönig, schwer.
So fahl drückt die Runde,
als ob meine Stunde
schlagen will;
ich denke zurück
an verlorenes Glück
und weine still.
Und ich irre blind
im wilden Wind ...
er treibt mich matt
hin und her
wie im Sturmesmeer
ein welkes Blatt.
(übersetzt von Franz Evers)
Paul Verlaine
Arbeit!
Komm, ernste Freundin, meine Trösterin,
du Segenshort in ruhelosen Tagen,
ersehnte Zuflucht, Allerbarmerin,
hilf mir des Lebens Bürde weiter tragen.
Leid drückt mein Herz! Soll ich der Last erliegen?
sieh, wie gebrochen und verzagt ich bin!
bei dir ist Heil, hilf meinen Gram besiegen
und gib mir Frieden, stille Trösterin!
Leon Vandersee
Sehnsucht
O meiner Heimat goldne Einsamkeit,
du Jugendeiland, grün und still und weit,
darin die Märchen meiner Kindheit gehen –
einmal nur möchte ich dich noch wiedersehn!
Einmal nur möchte ich wandern Hand in Hand
mit meiner Liebe durch das ferne Land –
du Seele, die ein Gott für mich erschuf,
hörst du daheim den bangen Sehnsuchtsruf?
Leon Vandersee
Wenn ich gestorben bin
Laß mich noch einmal deine Lippen küssen,
so Mund an Mund in sehnsuchtsvoller Pein,
mein Liebstes du, eh wir uns trennen müssen,
will ich noch einmal reich und glücklich sein.
Heut glüht dir noch der rote Blütensegen –
wohin ist morgen all der Duft und Glanz?
Wenn ich gestorben bin – dann wirst du legen
still auf mein Grab den weißen Rosenkranz.
Leon Vandersee
Du bist mir gut, doch du liebst mich nicht,
so kühl und so ruhig bleibt dein Gesicht,
ganz unbewegt -
wenn heiß dich mein brennender Mund geküßt,
ob dann wohl das Herz - ach wie gern ichs wüßt -
dir wilder schlägt?
Wir ließen die Rosen am Strauch verglühn,
nun ist die Zeit, da die Herbstastern blühn -
du siehst sie kaum -
zur schimmernden Ferne schweift still dein Blick,
erfaßt dich Sehnsucht? Ahnst du das Glück?
Lockt dich ein Traum? ...
Leon Vandersee