Sprache Zitate (Seite 13)
Jenseits-Dämmerung
Jeden Morgen, wenn ich erwache,
Lern' ich die Sprache der Menschen auf's neu,
Die mir in lichtsatten nächtigen Träumen
Zerstoben, verflogen wie kornblinde Spreu.
Jeden Morgen, wenn ich erwache,
Samml' ich auf's neue mein irdisch Gebein,
Das ich im nächtigen Flug durch die Räume
Abgestreift wie ein lästig Gewand.
Und ungern, voll Mißmuth und widrigem Willen
Erheb ich die fröstelnden Glieder auf's neu,
Drein sich die Seele im innersten Marke
Verkrochen vorm Alltag in...
Ludwig Scharf
Das erste Liebeswort
Das war der süßeste der Laute!
Sie sprach's, das erste Liebeswort;
Im Herzen nun trag ich das traute
Tiefselige Geheimnis fort.
Allein, wo berg' ich meine Wonne,
Daß ich sie wohl behüten mag?
Dein Licht verhülle, läst'ge Sonne!
Verstumme, lärmbewegter Tag!
Weltfern sei meines Glückes Fülle
Begraben, wo sie nichts verrät
Und nur durch Nacht und heil'ge Stille
Des süßen Wortes Nachhall weht.
Adolf Friedrich Graf von Schack
Kinderaugen
Sie schauen Dich an
und
sprechen ihre eigene Sprache.
Sagen so viel aus.
Kein Versteck - Spiel -
pures Ich - sein.
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.
Wohl wissend,
ich schaue täglich in zig dieser Augenpaare
und erfahre immer wieder
die Welt aus der Perspektive dieser Kinderaugen
zu sehen.
Alexandra Savnik
Der kranke Esel
Ein Esel lag darnieder
In einem Wald sehr krank.
Ein Wolf der stellt sich bieder,
Nahm für ihn seinen Gang,
Tät ihm schmeichelnd zusprechen:
"Leid ist mir dein Unfall.
Sag, wo ist dein Gebrechen?"
Begriff ihn überall.
Der Esel lag in Sorgen,
Forcht des Wolfes Hinterlist,
Sprach zum Wolf unverborgen:
"Wo du mich greifen bist,
Ist am größten mein Schmerzen.
Ich bitt dich, geh von mir,
So wird Ruh meinem Herzen;
Das fürchtet sich vor dir."
Also wo los Gesellen
Voll allerlei...
Hans Sachs
Ursprung der Rose
Den Rosenzweig benagt ein Lämmchen auf der Weide,
Es tuts nur sich zur Lust, es tuts nicht ihm zuleide.
Dafür hat Rosendorn dem Lämmchen abgezwackt
Ein Flöckchen Wolle nur; es ward davon nicht nackt.
Das Flöckchen hielt der Dorn in scharfen Fingern fest;
Da kam die Nachtigall und wollte baun ihr Nest.
Sie sprach: – Tu auf die Hand und gib das Flöckchen mir,
Und ist mein Nest gebaut, sing ich zum Danke Dir.
Er gab, sie nahm und baut, und als sie nun gesungen,
Da ist am...
Friedrich Rückert
Mit jeder Sprache mehr, die du erlernst, befreist
Du einen bis daher in dir gebundnen Geist,
Der jetzo tätig wird mit eigner Denkverbindung,
Dir aufschließt unbekannt gewes'ne Weltempfindung,
Empfindung, wie ein Volk sich in der Welt empfunden;
Nun diese Menschheitsform hast du in dir gefunden.
Ein alter Dichter, der nur dreier Sprachen Gaben
Besessen, rühmte sich, der Seelen drei zu haben.
Und wirklich hätt' in sich nur alle Menschengeister
Der Geist vereint, der recht wär' aller Sprachen...
Friedrich Rückert
Der Stein
Ein kleines Steinchen rollte munter
Von einem hohen Berg herunter.
Und als es durch den Schnee so rollte,
Ward es viel größer als es wollte.
Da sprach der Stein mit stolzer Miene:
'Jetzt bin ich eine Schneelawine'.
Er riß im Rollen noch ein Haus
Und sieben große Bäume aus.
Dann rollte er ins Meer hinein,
Und dort versank der kleine Stein.
Joachim Ringelnatz
Der Nachbar
Fremde Geige, gehst du mir nach?
In wieviel fernen Städten schon sprach
deine einsame Nacht zu meiner?
Spielen dich hunderte? Spielt dich einer?
Gibt es in allen großen Städten
solche, die sich ohne dich
schon in den Flüssen verloren hätten?
Und warum trifft es immer mich?
Warum bin ich immer der Nachbar derer,
die dich bange zwingen zu singen
und zu sagen: Das Leben ist schwerer
als die Schwere von allen Dingen.
Rainer Maria Rilke
Wenn die Uhren so nah
wie eigene Herzen schlagen,
und die Dinge mit zagen
Stimmen sich fragen:
Bist du da? – :
Dann bin ich nicht der, der am Morgen erwacht,
einen Namen schenkt mir die Nacht,
den keiner, den ich am Tage sprach,
ohne tiefes Fürchten erführe –
Jede Türe
in mir gibt nach...
Und da weiß ich, daß nicht vergeht,
keine Geste und kein Gebet
(dazu sind die Dinge zu schwer) –
meine ganze Kindheit steht
immer im mich her.
Niemals bin ich allein.
Viele, die vor mir lebten
und fort von...
Rainer Maria Rilke
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still.
Du mein tieftiefes Leben;
Daß du weißt, was der Wind dir will.
Eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
Laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
Er wird dich lieben und wiegen.
Und dann, meine Seele, sei weit, sei weit.
Daß dir das Leben gelinge,
Breite dich wie ein Feierkleid
Über die sinnenden Dinge.
Rainer Maria Rilke
Geduld
Und ich möchte dich
so gut ich kann bitten,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen,
und zu verstehen.
Die Fragen selbst lieb zu haben
wie verschlossene Stuben.
Und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben könntest.
Und es handelt sich darum
alles zu leben.
Vielleicht lebst du dann
allmählich – ohne es zu merken –
in deine Antworten hinein.
Rainer Maria Rilke
Gebet
Ich sprach von dir als von dem sehr Verwandten,
zu dem mein Leben hundert Wege weiß,
ich nannte dich, den alle Kinder kannten,
für den ich dunkel bin und leis.
Ich nannte dich den Nächsten meiner Nächte
und meiner Abende Verschwiegenheit,
und du bist der, in dem ich nicht geirrt,
den ich betrat wie ein gewohntes Haus.
Jetzt geht dein Wachsen über mich hinaus:
Du bist der Werdenste, der wird.
Rainer Maria Rilke
Als einst ein alter Herr ein junges Mädchen freite
und ihm sein schwacher Leib nichts Gutes prophezeite,
sprach er zu ihr: Mein Kind, Sie wird sich ja bequemen,
und wird die ehl'ge Pflicht Quartal weis von mir nehmen?
Ihr Wiederfragen war, da sie sich kaum bedacht:
Allein wie viel Quartal gibt's dann in einer Nacht?
Johann Friederich Riederer