Nur Zitate (Seite 155)
Rätsel
Ein Bruder ist’s von vielen Brüdern.
in allem ihnen völlig gleich,
ein nötig Glied von vielen Gliedern
in eines großen Vaters Reich;
jedoch erblickt man ihn nur selten,
fast, wie ein eingeschobnes Kind;
die andern lassen ihn nur gelten
da, wo sie unvermögend sind.
(Schalttag)
Johann Wolfgang von Goethe
Du seufzest über dürres Land, –
o sei nur blind nicht, nicht so träge!
Viel Freuden schmachten unerkannt,
das sind die Blumen am Wege.
Sie winken still, sie duften fein,
erheischen nicht deine Pflege,
sie möchten nur geerntet sein,
die kleinen Blumen am Wege.
Nach goldenem Sterne, weit entrückt,
blickst du, nach fernem Gehege, –
dieweil verblühen, ungepflückt,
viel tausend Blumen am Wege!
Amélie Godin
An die Damen
Es segne euch der Himmel,
Ihr würdige Schönen!
Seid ewig die Wonne
Der Jungen und Alten!
Seid ewig, wie heute,
Das Labsal der Männer!
Ihr laßt euch nur sehen,
So hüpfen schon Herzen.
Ihr zwinget die Alten
Zu Jünglingsgeberden.
Ihr labet die Jungen.
Was ist doch ein Leben,
Das ihr nicht versüßet?
Befragt nur die Männer.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Die Fledermaus
Ein kleines Mäuschen kroch
Stets unzufrieden in sein Loch;
Stet's wünscht' es: Wär' ich doch
Der kleine Vogel nur
Und flög' in freier Luft! Zeus sagte zum
Merkur:
Ich will der Närrin Wunsch gewähren,
Erscheine, Maus! - Sie kam,
den Götterspruch zu hören.
Wohlan, sprach Zeus, zum Zeitvertreib,
Geb' ich dir Flügel an den Leib.
Nun flieg!
Halb Vogel und halb Maus,
Flog sie und hieß die Fledermaus.
Merkur sah sie und lachte;
Nun fliegt sie nur bei Nachte.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Ich möchte sterben wie der Schwan,
Der, langsam rudernd mit den Schwingen,
Auf seiner blauen Wasserbahn
Die Seele löst in leisem Singen.
Und starb er, wenn der Abend schied
Mit goldnem Kusse von den Gipfeln:
Nachhallend säuselt noch das Lied
Die ganze Nacht in Busch und Wipfeln.
O würde mir ein solch Geschick!
Dürft' unter Liedern ich erblassen!
Könnt' ich ein Echo voll Musik
Dem Volk der Deutschen hinterlassen!
Doch Größern nur ward solch ein Klang,
Nur Auserwählten unter vielen –
Mir wird...
Emanuel Geibel
Herbstlich sonnige Tage,
Mir beschieden zur Lust,
Euch mit leiserem Schlage
Grüßt die atmende Brust.
O wie waltet die Stunde
Nun in seliger Ruh!
Jede schmerzende Wunde
Schließet leise sich zu.
Nur zu rasten, zu lieben,
Still an sich selber zu baun,
Fühlt sich die Seele getrieben
Und mit Liebe zu schaun.
Jedem leisen Verfärben
Lausch ich mit stillem Bemühn,
Jedem Wachsen und Sterben,
Jedem Welken und Blühn.
Was da webet im Ringe,
Was da blüht auf der Flur,
Sinnbild ewiger Dinge
Ists dem...
Emanuel Geibel
Lied des Mädchens
Laß schlafen mich und träumen,
Was hab' ich zu versäumen
In dieser Einsamkeit!
Der Reif bedeckt den Garten,
Mein Dasein ist ein Warten
Auf Liebe nur und Lenzeszeit.
Es kommt im Frühlingsglanze
Für jede kleine Pflanze
Einmal der Blütentag.
So wird der Tag auch kommen,
Da diesem Frost entnommen
Mein Herz in Wonnen blühen mag.
Doch bis mir das gegeben,
Däucht mir nur halb mein Leben,
Und kalt wie Winters Wehn;
Trüb schauert's in den Bäumen –
O laß mich schlafen, träumen,
Bis...
Emanuel Geibel
Herbstgefühl
O wär' es bloß der Wange Pracht,
Die mit den Jahren flieht!
Doch das ist's, was mich traurig macht,
Daß auch das Herz verblüht;
Daß, wie der Jugend Ruf verhallt,
Und wie der Blick sich trübt,
Die Brust, die einst so heiß gewallt,
Vergißt, wie sie geliebt.
Ob von der Lippe dann auch kühn
Sich Witz und Scherz ergießt,
's ist nur ein heuchlerisches Grün,
Das über Gräber sprießt.
Die Nacht kommt, mit der Nacht der Schmerz,
Der eitle Flimmer bricht:
Nach Tränen sehnt sich unser...
Emanuel Geibel
Dem Tanz der Flocken
bist du Andacht schuldig.
Als Kind sahst du sie fallen nicht wie heute.
Die Jugend achtete des Wunders kaum.
Der Mann, tief eingehüllt in seine Pflichten,
bemerkt nur das, was Nutzen bringt und Sorgen.
Du aber sei dem Tanz der Flocken wieder hingegeben
in Stille und Verlorenheit,
so ohne Wünsche, selbstgenügsam, freundlich,
wie nur ein Kind mag selig lieben,
unschuldig diesen Tanz der Flocken,
verlorne Wunder wieder spüren,
ringsum vergessen die Welt.
Carl Peter Fröhling
Nicht lächelt mehr der Strand
mit holdem Angesicht dir zu.
Verloren streifst du grau durch grauen Sand,
tauchst schweigend ein in geisterhafte Winterruh.
Lido-Einsamkeit … ein wehes Wort.
Wo ehedem das Leben hohe Wellen schlug,
da find'st du heut nur traurig-öden Ort.
War alles denn nur Traum, armseliger Betrug?
Die hölzern' Hütten knarren noch wie immer,
des Meeres Wogenflut bespült den Sand
in ruheloser Gier.
Und auch der Möven kreischendes Gewimmer
erfüllt die Luft noch über dir.
Carl Peter Fröhling