Leben Zitate (Seite 184)
Auf dem Strome
Am Himmel der Wolken
Erdunkelnder Kranz …
Auf schauerndem Strome
Metallischer Glanz …
Die Wälder zuseiten
So finster und tot …
Und in flüsterndem Gleiten
Vorüber mein Boot …
Ein Schrei aus der Ferne –
Dann still wie zuvor …
Wie weit sich von Menschen
Mein Leben verlor! …
Eine Welle läuft leise
Schon lang nebenher,
Sie denkt wohl, ich reise
Hinunter zum Meer …
Ja, ich reise, ich reise,
Weiß selbst nicht, wohin
Immer weiter und weiter
Verlockt mich mein Sinn …
Schon kündet ein...
Christian Morgenstern
Ein Bach mit Namen Elster rinnt
durch Nacht und Nebel und besinnt
inmitten dieser stillen Handlung
sich seiner einstigen Verwandlung,
die ihm vor mehr als tausend Jahren
von einem Magier widerfahren.
Und wie so Nacht und Nebel weben,
erwacht in ihm das alte Leben,
er fährt in eine in der Nähe
zufällig eingeschlafene Krähe
und fliegt, dieweil sein Bett verdorrt,
wie dermaleinst als Vogel fort.
Christian Morgenstern
Nun wollen wir uns still die Hände geben
Nun wollen wir uns still die Hände geben
und vorwärts gehen, fromm, fast ohne Zagen,
und dieses größte Lebenswagnis wagen:
Zwei miteinander ganz verschlungne Leben.
Und wollen unermüdlich weiter weben
an den für uns nun völlig neuen Tagen
und jeden Abend, jeden Morgen fragen,
ob wir auch ganz Ein Ringen und Ein Streben.
Auch ganz ein unersättlich Langen, Dürsten,
im Maß des Körperlichen, das uns eigen,
uns immer geistiger emporzufürsten:
Daß wir...
Christian Morgenstern
Der Engel
Wo bist du hin? Noch eben warst du da -
Was wandtest du dich wieder abwärts, wehe,
nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,
und warst mir jüngst doch noch so innig nah.
Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
aus der die Schauer der Verwesung hauchen,
ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,
das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?
Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
in eure fürchterlichen Daseinsstufen...
Doch ich bin's nicht. Nur wie verworrnes Rufen
erschreckt das...
Christian Morgenstern
Es war einmal ein Papagei,
der war beim Schöpfungsakt dabei
und lernte gleich am rechten Ort
des ersten Menschen erstes Wort.
Des Menschen erstes Wort war A
und hieß fast alles, was er sah,
z.B. Fisch, z.B. Brod,
z.B. Leben oder Tod.
Erst nach Jahrhunderten voll Schnee
erfand der Mensch zum A das B
und dann das L und dann das Q
und schließlich noch das Z dazu.
Gedachter Papagei indem
ward älter als Methusalem
bewahrend treu in Brust und Schnabel
die erste menschliche Vokabel.
Zum Schlusse...
Christian Morgenstern
Möwenlied
Die Möwen sehen alle aus,
als ob sie Emma hießen.
Sie tragen einen weißen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.
Ich schieße keine Möwe tot,
Ich laß sie lieber leben -
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.
O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.
Christian Morgenstern
Der Abend leget warme
hernieder seine Arme
und wo die Erde zu Ende
da ruhen seine Hände…
Die Mücklein summen leise
in ihrer hellen Weise
und alle Wesen beben
und singen leis vom Leben…
Es ist nicht groß, es ist nicht breit,
s’ ist eine kleine Spanne Zeit
und lange währt die Ewigkeit…
Paula Modersohn-Becker
Lang braucht ein Seufzer, bis er Wirkung fände –
Wer lebte bis an deiner Locken Ende?
Entwerden lernt im Sonnenstrahl der Tau –
Ich lebe nur, bis ich den Huld-Blick schau.
Ein Blick, nicht mehr, ist, Tor, des Lebens Glanz –
Das Fest währt nur für einen Funkentanz.
Was heilt den Daseinsgram? Nichts als der Tod!
Die Kerze brennt nur bis zum Morgenrot.
Mirzâ Asadullâh Ghalib
Wohl dem, der schon aus seiner Frühlingswelt
zurück zur Heimat kehrt, wo keine Blume
Verwelkt, kein Sommer drückt, kein Herbstwind rauscht,
Die falben Blätter über Stoppeln jagend,
Kein Wintersturm, die greisen Locken schüttelnd,
Mit Schnee die Flur sowie das Herz bedeckt!
Dann ist der Tod ein treuer Freund, der nur
Zu sanftem Schlummer uns die Augen schließt,
Der aus dem Labyrinth des Lebens uns entführt
Und zu dem bessern Sein uns aufwärts trägt.
Minerva, »Taschenbuch für Damen
Nun bin ich an des Lebens Ziel gelangt,
durch Sturmeswogen und auf schwankem Kahn
zum Hafen: was ich falsch, was fromm getan:
von allem wird hier Rechenschaft verlangt.
Wie sehr mir nun vor der Erkenntnis bangt,
daß mir die Kunst Idol und einziger Wahn,
daß ich aus Irrtum ihr nur untertan
und dem, was falschem Wunsch der Mensch verdankt.
Verliebtes Sehnen eitler Lebenslust,
was hilfst du nun dem Nachbarn zweier Tode,
jener dem Leib, dieser dem Geist zum Harme?
Nich Meißeln und nicht Malen...
Michelangelo
Schlaf' süß, mein Lieb!
Schlaf' süß, mein Lieb! – ich wache fern
Und bete nun zu Gott dem Herrn
Hinauf für dich um Frieden.
Ach, daß es dir
Nicht geh' wie mir,
Seitdem wir sind geschieden!
Kann ohne dich mich nicht mehr freu'n,
Und Tag und Nacht gedenk' ich dein
Mit ewig neuem Sehnen;
Hab' jede Lust
Der frohen Brust
Schon längst erstickt in Tränen.
Und sollt' ich nie dich wiederseh'n,
Ja, sollt' mir solch' ein Leid gescheh'n,
Es würd' den Tod mir geben.
Du bist mein Herz!
Mein Glück, mein...
Johann Meyer
Schwüle
Trüb verglomm der schwüle Sommertag,
Dumpf und traurig tönt mein Ruderschlag –
Sterne, Sterne – Abend ist es ja –
Sterne, warum seid ihr noch nicht da?
Bleich das Leben! Bleich der Felsenhang!
Schilf, was flüsterst du so frech und bang?
Fern der Himmel und die Tiefe nah –
Sterne, warum seid ihr noch nicht da?
Eine liebe, liebe Stimme ruft
Mich beständig aus der Wassergruft –
Weg, Gespenst, das oft ich winken sah!
Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da?
Endlich, endlich durch...
Conrad Ferdinand Meyer