Ich Sein Zitate (Seite 79)
Radbot und Wolfram
Herr Radbot vor der Taufe
sprach: "Heil'ger Gottesmann,
wo weilt der größte Haufe,
der dieser Welt entrann?"
Und Wolfram drauf: "Im Himmel
ist noch für viele Raum,
doch drunten das Gewimmel
umfaßt der Hölle Raum."
Da rief der arge Heide:
"Dein Taufen acht ich klein;
denn ich will, wenn ich scheide,
beim größten Haufen sein."
Julius Karl Reinhold Sturm
Lied der Desdemona
Das Mägdlein saß singend am Feigenbaum früh,
Sing Weide, grüne Weide!
Die Hand auf dem Busen, das Haupt auf dem Knie,
Sing Weide, Weide, Weide!
Das Bächlein, es murmelt und stimmet mit ein;
Sing Weide, grüne Weide!
Heiß rollt ihr die Trän und erweicht das Gestein;
Sing Weide, Weide, Weide!
Von Weiden all flecht ich mir nun den Kranz –
Sing Weide, grüne Weide!
O scheltet ihn nicht, sein Zorn ist mir recht –
Sing Weide, Weide, Weide!
Ich nannt ihn du Falscher! Was sagt er...
William Shakespeare
leidenschaftlich heiß
leidenschaftlich heiß
ich sie gestern küßte
auf dem Kamel
so hemungslose Lüste
oh' wenn dies' schlimme Tun
die heiße Wüste wüßte
doch heut' morgen war die Dame weg
stell's fest mit riesengroßem Schreck
seh' nur heißen Sand und helle Sonne
nix mehr Frau und nix mehr Wonne
nur der Wüstenwind singt leis sein Lied
dies einem Lüstling recht geschieht
jetzt sitz' ich hier
mich dürstet fürchterlich
noch nie so klar war mir
daß das Kamel bin ich
und die Moral von der...
Engelbert Schinkel
Ausfahrt
Berggipfel erblühen,
Waldwipfel erblühen
Vom Lenzhauch geschwellt;
Zugvogel mit Singen
Erhebt seine Schwingen;
Ich fahr' in die Welt.
Mir ist zum Geleite
In lichtgoldnem Kleide
Frau Sonne bestellt;
Sie wirft meinen Schatten
Auf blumige Matten;
Ich fahr' in die Welt.
Mein Hutschmuck die Rose,
Mein Lager im Moose,
Der Himmel mein Zelt;
Mag lauern und kauern
Wer will, hinter Mauern;
Ich fahr' in die Welt.
Joseph Victor von Scheffel
Von des Turmes höchster Spitze
Schau' ich in die Welt herein,
Schaue auf erhab'nem Sitze
In das Treiben der Partein.
Und die Katzenaugen sehen,
Und die Katzenseele lacht,
Wie das Völklein der Pygmäen
Unten dumme Sachen macht.
Doch was nützt's? ich kann den Haufen
Nicht auf meinen Standpunkt ziehn,
Und so laß ich ihn denn laufen,
's ist wahrhaft nicht schad' um ihn.
Menschentun ist ein Verkehrtes,
Menschentun ist Ach und Krach;
Im Bewußtsein seines Wertes
Sitzt der Kater auf dem...
Joseph Victor von Scheffel
Toleranz
Ich bin ein toleranter Mann,
das ist auch zu erstreben,
denn nur wer tolerant sein kann,
hat auch Erfolg im Leben.
Ich bin ein toleranter Mann
in allen Lebenslagen
und wer was auf dem Herzen hat,
der kann mir alles sagen.
Ich bin ein toleranter Mann
und das in jeder Phase,
doch wer nicht meiner Meinung ist,
der kriegt was auf die Nase.
Edmund Ruhenstroth
Zwischen meinen Wänden
Ich danke dir: Ich bin ein Kind geblieben,
Ward äußerlich auch meine Schwarte rauh.
Zu viele Sachen weiß ich zu genau
Und lernte mehr und mehr die Wände lieben.
Doch zwischen Wänden, wenn die Fantasie
Ein kleines Glück so glücklich zu erfassen
Imstande ist, daß wir uns sagen: Nie
Uns selber lieben! Nie das andre hassen!
Nur einsam sein! – –
Spricht oft mein Innerstes zu solcher Weisheit: Nein!
Denn all mein Sinnen lauscht, ob fremde Hände
Jetzt etwa klopfen werden an...
Joachim Ringelnatz
Lebhafte Winterstraße
Es gehen Menschen vor mir hin
Und gehen mir vorbei, und keiner
Davon ist so, wie ich es bin.
Es blickt ein jedes so nach seiner
Gegebenen Art in seine Welt.
Wer hat die Menschen so entstellt?
Ich sehe sie getrieben treiben.
Warum sie wohl nie stehenbleiben,
Zu sehen, was nach ihnen sieht?
Warum der Mensch vorm Menschen flieht?
Und eine weiße Weite Schnee
Verdreckt sich unter ihren Füßen.
So viele Menschen. Mir ist weh:
Keinen von ihnen darf ich grüßen.
Joachim Ringelnatz
[Gott]
Du kommst und gehst. Die Türen fallen
viel sanfter zu, fast ohne Wehn.
Du bist der Leiseste von allen,
die durch die leisen Häuser gehn.
Man kann sich so an dich gewöhnen,
daß man nicht aus dem Buche schaut,
wenn seine Bilder sich verschönen,
von deinem Schatten überblaut;
weil dich die Dinge immer tönen
nur einmal leis und einmal laut.
Oft wenn ich dich in Sinnen sehe,
verteilt sich deine Allgestalt;
du gehst wie lauter lichte Rehe,
und ich bin dunkel und bin Wald.
Du bist ein Rad, an...
Rainer Maria Rilke
Du Dunkelheit, aus der ich stamme
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.
Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie's errafft,
Menschen und Mächte -
Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an Nächte.
Rainer Maria Rilke
Vorsatz
Ich will's dir nimmer sagen,
wie ich so lieb dich hab';
im Herzen will ich's still tragen,
will stumm sein wie ein Grab.
Kein Lied soll dir's gestehen,
soll flehen um mein Glück!
Du selber sollst es sehen,
du selbst in meinem Blick.
Und kannst du es nicht lesen,
was dort so zärtlich spricht,
so ist's ein Traum gewesen:
Dem Träumer zürne nicht.
Robert Eduard Prutz
Frühlingsgedanken
Nicht wahr, ihr Alle wünscht, wenn einst die Stunde
Gekommen, wo die andern Wünsche enden,
In eurer Lieben Mitte zu entsenden
Den letzten Hauch vom todesblassen Munde?
Verlangt es mich im tiefsten Seelengrunde
Nach solchen Glückes heilig süßen Spenden,
Muß ich mich an den holden Frühling wenden,
Den einz'gen Freund, mit welchem ich im Bunde.
Und weil kein and'rer Gruß die dunkle Gruft
Mit Liebesschimmer sanft mir wird umfärben,
Wenn nicht sein Gruß als Licht und Sang und...
Betty Paoli
Gute Nacht
Im tiefsten Innern
Ein süß Erinnern
Und einen Gruß
Zum Tagesschluß.
Daß Gottes Güte
Mein Glück behüte,
Daß seine Treu'
Stets mit dir sei;
Daß deine Seele
Sich mir vermähle
Auf ewiglich:
Das bete ich.
Auf ihn nur zähl' ich,
Uns beid' empfehl' ich
Fromm seiner Macht –
Nun, gute Nacht!
Betty Paoli
Die Stunde
Du hast in einer Stunde
Mir soviel Glück gegeben,
Nie kann mein ganzes Leben
Glücklicher sein!
Ich will sie mir erhalten
In meiner Seele Grunde,
Wie einen edlen alten
Köstlichen Wein.
Einst in den bösen Tagen
Der Sorgen und Schmerzen
Hol ich herauf aus dem Herzen
Die Stunde mir.
Dann werd ich sie neu genießen
Und alles wird sie versüßen
Und mich berauschend tragen
Zurück zu dir.
A. de Nora (Pseudonym für Anton Alfred Noder)