Alte Zitate (Seite 36)
Der Sproß
Ein junger Sproß mit Tatendrang
erblickt das Licht der Erde,
er zeigt: "Es geht auch anders lang"
mit stolzester Gebärde.
Er weiß nicht, daß der Apfelbaum,
aus dem er treibt die Blüte,
einst hatte diesen gleichen Traum,
in dem er sich bemühte.
Jetzt ist er alt und voller Moos,
treibt trotzdem schöne Blüten,
er hält es für das schönste Los,
die Sprossen zu behüten.
Klaus Ender
Treue
Wenn schon alle Vögel schweigen
In des Sommers schwülem Drang,
Sieht man, Lerche, dich noch steigen
Himmelwärts mit frischem Klang.
Wenn die Bäume all' verzagen
Und die Farben rings verblühn,
Tannbaum, deine Kronen ragen
Aus der Öde ewig grün.
Darum halt nur fest die Treue,
Wird die Welt auch alt und bang,
Brich den Frühling an aufs neue,
Wunder tut ein rechter Klang!
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Die Zeit geht schnell
Lieb' Vöglein, vor Blüten
Sieht man dich kaum,
Im dämmernd beglühten
Flüsternden Baum;
Wann in Morgenfunken
Sprüh'n Thäler und Quell,
Singst du feuertrunken –
Aber die Zeit geht schnell.
Wie balde muß lassen
Seine Blätter der Wald,
Die Blumen erblassen,
Die Gegend wird alt,
Erstarrt ist im Eise
Der muntere Quell –
Rüst' die Flügel zur Reise;
Denn die Zeit geht schnell.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Trost
Es haben viel Dichter gesungen
Im schönen deutschen Land,
Nun sind ihre Lieder verklungen,
Die Sänger ruhen im Sand.
Aber so lange noch kreisen
Die Stern' um die Erde rund,
Tun Herzen in neuen Weisen
Die alte Schönheit kund.
Im Walde da liegt verfallen
Der alten Helden Haus,
Doch aus den Toren und Hallen
Bricht jährlich der Frühling aus.
Und wo immer müde Fechter
Sinken im mutigen Strauß,
Es kommen frische Geschlechter
Und fechten es ehrlich aus.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Mich brennt's in meinen Reiseschuh'n
Fort mit der Zeit zu schreiten,
Was sollen wir agieren nun,
Vor soviel klugen Leuten.
Es hebt das Dach sich von dem Haus
Und die Kulissen rühren
Und strecken sich zum Himmel aus
Strom Wälder musizieren.
Da geh'n die einen müde fort
Die andern nah'n behende.
Das alte Stück, man spielt's so fort
Und kriegt es nie zu Ende.
Und keiner kennt den letzten Akt
Von allen die da spielen
Nur der da droben kennt den Takt
Weiß wo das hin soll zielen.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Auf einer Burg
Eingeschlafen auf der Lauer
Oben ist der alte Ritter;
Drüber gehen Regenschauer,
Und der Wald rauscht durch das Gitter.
Eingewachsen Bart und Haare,
Und versteinert Brust und Krause,
Sitzt er viele hundert Jahre
Oben in der stillen Klause.
Draußen ist es still und friedlich,
Alle sind ins Tal gezogen,
Waldesvögel einsam singen
In den leeren Fensterbogen.
Eine Hochzeit fährt da unten
Auf dem Rhein im Sonnenscheine,
Musikanten spielen munter,
Und die schöne Braut die weinet.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Das Bilderbuch
Von der Poesie sucht Kunde
Mancher im gelehrten Buch,
Nur des Lebens schöne Runde
Lehret dich den Zauberspruch;
Doch in stillgeweihter Stunde
Will das Buch erschlossen sein,
Und so blick ich heut hinein,
Wie ein Kind im Frühlingswetter
Fröhlich Bilderbücher blättert,
Und es schweift der Sonnenschein
Auf den buntgemalten Lettern,
Und gelinde weht der Wind
Durch die Blumen, durch das Herz
Alte Freuden, alten Schmerz -
Weinen möcht ich, wie ein Kind!
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Frühlingsnacht
Übern Garten durch die Lüfte
Hört ich Wandervögel ziehn,
Das bedeutet Frühlingsdüfte,
Unten fängts schon an zu blühn.
Jauchzen möcht ich, möchte weinen,
Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!
Alte Wunder wieder scheinen
Mit dem Mondesglanz herein.
Und der Mond, die Sterne sagen's,
Und in Träumen rauscht's der Hain,
Und die Nachtigallen schlagen's:
Sie ist deine, sie ist dein!
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Mahnung
Genug gemeistert nun die Weltgeschichte!
Die Sterne, die durch alle Zeiten tagen,
ihr wollet sie mit frecher Hand zerschlagen
und jeder leuchten mit dem eignen Lichte.
Doch unaufhaltsam rucken die Gewichte,
von selbst die Glocken von den Türmen schlagen,
der alte Zeiger, ohne euch zu fragen,
weist flammend auf die Stunde der Gerichte.
O stiller Schauer, wunderbares Schweigen,
wenn heimlich flüsternd sich die Wälder neigen,
die Täler alle geisterbleich versanken
und in Gewittern von...
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Wanderung
Der Morgentau ist
längst getrunken,
in Streifen glänzt
das frische Grün.
Das Morgenlied ist
längst gesungen,
die Zeit ist reif,
um aufzustehen.
Jetzt möchte ich
mit einem gehen,
der alte Wege
finden kann.
Der mir vertraut ist,
der mich ansieht
und mit mir
herzlich lachen kann.
Sonja Drechsel-Walther
Gottes Wille
Du hungerst nach Glück, Eva,
und fürchtest dich den Apfel zu pflücken,
den dein Gott dir verboten hat
vor dreitausend Jahren,
du junges Geschöpf!
Jeden Abend seh ich dich,
wie du die magern Händchen
in deinem einsamen Bette
emporringst zu dem Gott der alten Leute:
Gieb ihn, gieb ihn mir!
Du arme Geduld!
Er hat noch nie die Furchtsamen beglückt,
der alte Gott.
Er gab dir deinen Hunger, deine Hände:
Greif zu und iß – dann dulde!
Richard Fedor Leopold Dehmel
Das alte Lied
Die Rosenknospe gab sie mir,
ein weh Lebwohl klang nach,
ich wollte Lächeln, als ich ihr
dafür ein Lied versprach.
Ihr stand ein Tränchen im Gesicht,
und lächeln wollte sie auch;
doch lächelten wir beide nicht,
das ist so Abschiedsbrauch.
Jetzt lächel ich in einem fort,
und ihr ist nicht mehr weh;
die Rosenknospe ist verdorrt,
das Lied ist aus - juchhee!
Richard Fedor Leopold Dehmel
Der Welt Gesicht sind aller Welt Gesichter
Die Welt hat kein Gesicht von greifbarer Gestalt.
Vor einem Kind malt sie sich stolz und wie ein Held,
Vor einem Greise ohne Durst, wie tausendjährig Holz so alt,
Den Dummen quält die Welt stets kopfgestellt.
Dem Kühlen und dem Stummen ist sie kalt versteint,
Die Schwachen fühlen sie als Tränensack, der greint.
Dem Trotzigen ist sie voll Mühlen, gegen die er ficht,
Dem Gütigen stets wohlgemeint voll Schwergewicht,
Dem Richter ist sie ewiges...
Max (Maximilian Albert) Dauthendey