Wissen Zitate (Seite 39)
Die ganze Gelehrtengeschichte zeigt,
Daß einer des andern Schultern besteigt,
Denn das ist's, was eben dem Wissen frommt,
Daß immer ein Folgender weiter kommt.
Was aber ein Kunstwerk heißt, ein Gedicht,
Das überlebt sich auf Erden nicht,
Denn regt's auch vielleicht zu noch Größerem an,
So ist es damit nicht abgetan;
Und lauft ihr die ganze Welt herum,
Es ist und es bleibt ein Unikum.
Otto Sutermeister
O stille Nacht
Weihrauchduft
zieht durch die Zimmer –
die Rauhnacht weht vorbei ...
die Kerzen sind erloschen.
Bis auf die zwei,
die vor dem Fenster
unsren Toten hell den Weg
in unsre Nähe weisen,
und die sie wissen lassen,
daß sie noch ganz bei uns.
Gedanken reisen
in die Anderswelt;
der Mond ist groß und voll
und grüßt versonnen
den, der da Andacht hält.
O stille Nacht.
In deinen Armen
verliert sich unser ganzes Sein,
versinkt das Streben,
wird alles Erdenleben
bedeutungslos,
gering und klein.
Ingrid Streicher
Vierzeilen
1
Du weißt doch, was ein Kuß bekennt?
Sonst hör du auf zu küssen!
Ich dächt, er sei ein Sakrament,
Das alle Völker wissen.
2
Und weißt du, warum so trübe,
So schwer mir das Herz muß sein?
Du hast mich geküßt ohne Liebe,
Das wolle dir Gott verzeihn!
3
Die Lieb ist wie ein Wiegenlied;
Es lullt dich lieblich ein;
Doch schläfst du kaum, so schweigt das Lied,
Und du erwachst allein.
Theodor Storm
Schwertlilien
Das sind die Blumen, die wie Kirchen sind.
Ein Blick in sie hinein zwingt uns zu schweigen.
Wie Weihrauch fromm berauschend strömt ihr Duft,
Wenn wir uns zu der schönen Blüte neigen.
Sie sind wie Schmetterlinge dünn und zart.
Und wissen ihr Geheimnis doch zu hüten.
Es hellen goldne Kerzen sanft den Pfad
Ins Allerheiligste der Wunderblüten.
Francisca Stoecklin
Odysseus
Odysseus wollte nur
zum nächsten Kiosk geh'n,
um sich sein Abendbier zu holen.
So, wie er es immer tat.
Sie hatten Streit gehabt;
er und Penelope.
Telemach schlief sanft
in seinem Bette.
Odysseus wollte nur,
wie schon gesagt,
zum nächsten Kiosk geh'n.
Doch, nur der Zeus mag wissen,
wer aus seiner Sippe
an welchem Strange zog.
Die Zeit ging durcheinander;
Es dehnte sich der Raum,
und es vergingen Jahre,
bevor Odysseus
nach Hause wieder kam
und fragte,
wo der Flaschenöffner sei.
Manfred Schröder
Adler sind meine Gedanken!
Adler sind meine Gedanken!
Flattern hoch in der Lüfte blaulichem Meer.
Adler der Lüfte sind meine Gedanken.
Fassen die Beute so hoch und hehr.
Aber das Opfer, so grausam zerrissen,
Fliehendes Leben verkündend im Schmerz –
Mußt' es verhehlend am Ende doch wissen:
Daß es das eigne verblutende Herz.
Schwäne sind meine Gefühle!
Theilen still jener Tiefe wogende Nacht!
Singende Schwäne sind meine Gefühle,
Singen der Sonne verheerende Pracht.
Aber die Gluthen, die sie...
Luise Adelaide Lavinia, genannt Adele Schopenhauer
Erst heute
spüre ich die Liebe in mir
die ich so lange vermißt
ohne es zu wissen
erst heute
schau' ich Dir in die Augen
halte Deinem Blick stand
ohne Angst
erst heute
kann ich "Papa" zu Dir sagen
denn früher warst Du
mir ganz fremd
erst heute
wo Du nicht mehr lebst
kann meine Liebe zu Dir
über die Angst siegen
erst heute
Engelbert Schinkel
Breite und Tiefe
Es glänzen viele in der Welt,
Sie wissen von allem zu sagen,
Und wo was reizet und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen,
Man dächte, hört man sie reden laut,
Sie hätten wirklich erobert die Braut.
Doch gehn sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren,
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt gern was Großes geboren,
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Der Stamm erhebt sich in die Luft
Mit üppig prangenden Zweigen,
Die...
Johann Christoph Friedrich von Schiller
Menschliches Wissen
Weil du liesest in ihr, was du selber in sie geschrieben,
Weil du in Gruppen fürs Aug ihre Erscheinungen reihst,
Deine Schnüre gezogen auf ihrem unendlichen Felde,
Wähnst du, es fasse dein Geist ahnend die große Natur.
So beschreibt mit Figuren der Astronome den Himmel,
Daß in dem ewigen Raum leichter sich finde der Blick,
Knüpft entlegene Sonnen, durch Siriusfernen geschieden,
Aneinander im Schwan und in den Hörnern des Stiers.
Aber versteht er darum der Sphären mystische...
Johann Christoph Friedrich von Schiller
Licht und Wärme
Der bessre Mensch tritt in die Welt
Mit fröhlichem Vertrauen,
Er glaubt, was ihm die Seele schwellt,
Auch außer sich zu schauen,
Und weiht, von edlem Eifer warm,
Der Wahrheit seinen treuen Arm.
Doch alles ist so klein so eng,
Hat er es erst erfahren,
Da sucht er in dem Weltgedräng
Sich selbst nur zu bewahren,
Das Herz in kalter stolzer Ruh
Schliesst endlich sich der Liebe zu.
Sie geben, ach! nicht immer Glut
Der Wahrheit helle Strahlen,
Wohl denen, die des...
Johann Christoph Friedrich von Schiller