Wind Zitate (Seite 12)
Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt
wie aus dem Kerker, der ihn haßt und hält, –
es ist ein großes Wunder in der Welt:
ich fühle: alles Leben wird gelebt.
Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die
wie eine ungespielte Melodie
im Abend wie in einer Harfe stehn?
Sind das die Winde, die von Wassern wehn,
sind das die Zweige, die sich Zeichen geben,
sind das die Blumen, die die Düfte weben,
sind das die langen alternden Alleen?
Sind das die...
Rainer Maria Rilke
Das sind die Stunden, da ich mich finde
Das sind die Stunden, da ich mich finde.
Dunkel wellen die Wiesen im Winde,
allen Birken schimmert die Rinde,
und der Abend kommt über sie.
Und ich wachse in seinem Schweigen,
möchte blühen mit vielen Zweigen,
nur um mit allen micht einzureigen
in die einige Harmonie...
Rainer Maria Rilke
Natur ist glücklich…
Natur ist glücklich. Doch in uns begegnen
sich zuviel Kräfte, die sich wirr bestreiten:
wer hat ein Frühjahr innen zu bereiten?
Wer weiß zu scheinen? Wer vermag zu regnen?
Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
Wer faßt in sich der Vogelflüge Raum?
Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
wie jeder Zweig an einem jeden Baum?
Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
ins unbekannte Glück so rein, so reg?
Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
und hält...
Rainer Maria Rilke
Die Engel
Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.
Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.
Rainer Maria Rilke
Vorgefühl
Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben.
Ich ahne die Winde, die kommen, und muß sie leben,
während die Dinge unten sich noch nicht rühren:
die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille;
die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer.
Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer.
Und breite mich aus und falle in mich hinein
und werfe mich ab und bin ganz allein
in dem großen Sturm.
Rainer Maria Rilke
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter...
Rainer Maria Rilke
waldgesang
eine mauer aus schwarz
steht der wald in den hängen
die stämme drängen
in die steinkalte nacht
schnee tropft von den zweigen
zu weißem ziel
die moose verharren
in eisigem starren
der wind spielt sein windspiel
zapfenreigen
die eichhörnchenherzen
zittern im traum
sie huschen noch immer
von baum zu baum
eisfarne klingen
neben den rinden
blattharfen singen
vom wiederfinden
des frühlings und beben
an flattrigen zweigen
wurzeln zeigen
ins tiefere leben
alles atmen heißt wald
alle...
Wolfgang J. Reus
Die Zeit
sitzt auf einem Baumstumpf
und bläst Seifenblasen
in den Wind.
In einer davon
sitzt du.
Du winkst, schreist,
willst sie
auf dich aufmerksam machen.
Doch sie
nimmt keine Notiz von dir,
zu vertieft ist sie
in ihre Beschäftigung.
Immer neue, prächtigere Kugeln
Übergibt sie ihrem Schicksal.
Plötzlich, ganz unerwartet,
wendet sie sich um zu dir
und blickt dich an
mit ihren sanften, ruhigen,
klaren, blinden Augen:
"Komm.
Wir wollen spielen!'
Schicksal.
Wolfgang J. Reus
Stichwörtlicher Herbst
Bunte Blätter, gold'ner Sonnenschein.
Unverkennbar: Herbst ist es geworden!
Vögel fliehen aus dem Norden,
wollen bald im warmen Süden sein.
Nebelschwaden, Wind verjagt sie kaum.
Schwerer Tau am kühlen feuchten Morgen.
Düstere Gedanken, manchmal Sorgen.
Blattlos fast ein jeder Baum.
Klaus Reißig
Verloren
Grau sind die Wolken,
gebrochen das Licht,
ich such' eine Perle im Sand.
Die Nacht bricht herein,
das Dunkel verwischt,
verdecket Perle und Band.
Wohl tausend Perlen
liegen umher
beim Mondlicht, im Tau.
Ich such meine Perle,
doch find ich sie nicht,
denn der Tag und die
Wolken sind grau.
Mein Freund bleibt der Wind,
der weht durch mein Haar,
obwohl er Sand trägt zu Hauf.
Er zieht mit den Wolken,
verwischt jede Spur –
meine Perle verlor
ich im Lauf.
Otto Reinhards
Ein Jahr später
Es sind noch immer
die gleichen Wellen,
die gleichen Muscheln,
was immer ich find.
Es sind noch immer
die gleichen Dünen,
die Gräser, die Halme
und auch der Wind.
Es ist noch immer
der Zug in den Wolken.
Ein Hauch weht wieder
durch mein Haar.
Es sind noch immer
die gleichen Brücken
am Himmelsbogen
wie damals es war.
Otto Reinhards
Spur im Sand
ich habe Dich gesucht.
Du warst nicht hier.
Ich sah der Menschen viel,
doch keiner sprach von Dir.
Ich hörte die Wellen rauschen.
Ich sah ihre weiße Gischt,
am Tage die goldene Sonne,
des nachts des Mondes Licht.
Ich hörte mein Herze klopfen,
wie Welle klopft an den Strand.
Ich wanderte mit den Wolken,
der Wind nahm mich bei der Hand.
Ich flog über Land und Meere.
Ich suchte den Weg zu Dir.
Fand keine Spur mehr im Sande
und dennoch warst Du bei mir.
Otto Reinhards
Welle
Welle, laß dich umarmen,
obwohl du mich zu Boden schlägst,
mir den Halt
meiner Füße versagst.
Aufwühlend und schäumend
kommst du daher,
wild und ungezähmt.
Folgend dem Sturm!
Wildes Aufbäumen tanzt
mit Schaum auf deinen Kämmen.
Ohne Wind bist du zahm und matt,
denn nach dem Sturm
schmeichelnd du meinen Fuß umspülst.
Glitzernd plätschern deine Wellen
im Abendwind,
die Nacht
erwartend.
Otto Reinhards