Wenn Ich Zitate (Seite 77)
Ein Lied
Mir schien, man altert nicht so bald,
Man hält sich recht in Schwung
Mit Hanteln und Florett,
So bleibt der Körper jung.
Doch daß das Herz auch alt wird, ach,
Wer hätte das gedacht?
An Wörtern fehlt's mir nicht, jedoch,
Welch Weib ist schon beglückt,
Wenn ich nicht mehr in Ohnmacht fall,
Sobald ich sie erblickt?
Doch daß das Herz auch alt wird, ach,
Wer hätte das gedacht?
Oh, das Begehren ist noch da,
Nur nicht das Herz. Ich hätte
Gemeint, daß es den Leib verzehrt
Noch auf dem...
William Butler Yeats
Vincent
Krähen flogen auf
und fort
Zurück bliebst Du
und der Wind
Es hat mir nicht gefallen
Du, der Du so sorgsam wähltest
Nahmst nicht Farben
Für Dein letztes Bild
Wäre Dein Tod von Dir gemalt
Er wäre noch erhalten
Irgendwann
den Sinn vielleicht
könnt’ ich lernen
wenn ich lernen könnt’
So muß ich rätseln
was geschah mit Dir
Im Herbst
werden sich schon Krähen fnden
und Wind bläst sicher vor der Stadt
Götz vor dem Gentschenfelde
Der Schlaf
Man hat schon oft gesagt,
Du seiest des Todes Bild,
O Knabe, still und mild,
Süßer Schlaf!
Ich aber versteh' es:
Weil die wilden Gedanken,
Die umgetriebenen, todeskranken,
Nicht mehr sind.
Morden kann ich sie nicht,
Aber sie nicken und schlummern ein
In deinem Dämmerschein
Ganz sachte.
Bringst du denn nicht auch bald,
Wenn ich ruf' und stehe zu dir,
Deinen bleichen Bruder mir
An der Hand?
Bringst du ihn immer nicht?
Er hat, was das Herz vermißt,
Hat, was das Beste ist,
Kein...
Friedrich Theodor von Vischer
Eine Handvoll Heimaterde nahm ich von der Heimat mit,
als ich schied,
habe in ein Linnensäckchen eingenäht sie mitgebracht,
unter meinem Kissen liegt sie in der Nacht.
Wenn ich schlafe, führt mein Träumen
mich in flaches Steppenland,
wo der glitzernd gelbe Sand
in der Sonne Gluten flimmert
und auf den Akazienbäumen
goldig schimmert,
wo den Horizont begrenzt ein endlos scheinend Halmenmeer,
hin und her
wogt es wie der Wellen Schaum,
rauscht es wie ein leises Singen,
Heimatlieder mir...
Ella Triebnigg-Pirkhert
Radbot und Wolfram
Herr Radbot vor der Taufe
sprach: "Heil'ger Gottesmann,
wo weilt der größte Haufe,
der dieser Welt entrann?"
Und Wolfram drauf: "Im Himmel
ist noch für viele Raum,
doch drunten das Gewimmel
umfaßt der Hölle Raum."
Da rief der arge Heide:
"Dein Taufen acht ich klein;
denn ich will, wenn ich scheide,
beim größten Haufen sein."
Julius Karl Reinhold Sturm
Nimm mir Alles, falsches Glück,
Gieb mir Täuschung, Freud' und Schmerzen;
Eines bleibt mir doch zurück:
Hohe Lieb' in treuem Herzen.
Deinem Zorn erbeb' ich nicht,
Klage nicht um Ruhm und Freude;
Muthig ist, wie Morgenlicht,
Lieb' im Leide.
Was sie schenkte, was sie nahm,
Alles ist mir lieb und theuer,
Und ihr tiefster, längster Gram
Macht mich kühner nur und treuer.
Gern erduld' ich ihre Noth,
Lächle, wenn ich mich betrübe;
Freundlich ist, wie Abendroth,
Leid in Liebe.
Ernst Schulze
Die kurze Schöne
Keine Schöne kann ich loben,
Deren Länge hoch von oben
Ihre stolzen Blicke zeigt.
Bäume, welche Früchte tragen,
Pflegen nicht so hoch zu ragen,
Als die leere Fichte steigt.
Du ergötzest mich, Asträe,
Wenn ich dir zur Seite stehe,
Du bist klein, und so, wie ich,
Dein Geliebter wird dich küssen,
Und zuvor nicht sagen müssen:
Meine Schöne, bücke dich!
Johann Elias Schlegel
Mir ist, als bräch aus meinem Herz
Ein Strom durchglühter Lavafluten.
Ach, wüßtest du, wie hinter Scherz
So oft die tiefsten Wunden bluten.
Wenn ich mit Lachen von dir schied,
Wie Blütengelb war das zerstäubt
Und wilder klang das wilde Lied,
Das deine Heiterkeit betäubt.
Das wilde Lied klang fort und fort,
Und nichts von jenem Lachen blieb,
Bis ich es fand, das milde Wort.
Du sagtest einst: »Ich hab dich lieb!«
Joachim Ringelnatz