Verloren Zitate (Seite 7)
Sehnsucht
Sturm, wer gab dir den Atem?
Welle, wer gab dir Flügel?
Und du Vöglein droben im schimmernden Blau,
Wer rief dich über die Hügel?
Ich weiß, ach ich weiß …
Es geht eine alte Melodie,
Die war mit der Menschheit geboren,
Jahrtausende starben, sie hat sich nie
Im Lärmen des Tages verloren:
Sehnsucht, Sehnsucht,
Treibende Macht!
Gott, der in Fesseln
Der Knechtschaft lacht,
Zagenden heimlich die Schwingen löst,
Trunk’ne hinab in den Abgrund stößt,
Sonne des Tages,
Seele der Nacht...
Anna Ritter
Arm Kräutchen
Ein Sauerampfer auf dem Damm
stand zwischen Bahngeleisen,
machte vor jedem D-Zug stramm,
sah viele Menschen reisen.
Und stand verstaubt und schluckte Qualm,
schwindsüchtig und verloren,
ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
mit Augen, Herz und Ohren.
Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
sah Eisenbahn um Eisenbahn,
sah niemals einen Dampfer.
Joachim Ringelnatz
Vergehe Zeit!
(1932)
Vergehe Zeit und mache einer besseren Platz!
Wir haben doch nun genug verloren.
Setz einen Punkt hinter den grausamen Satz:
"Ihr habt mich heraufbeschworen.
Was wir, die Alten, noch immer nicht abgebüßt,
Willst du es nicht zum Wohle der Jugend erlassen?
Kaum kennen wirs noch, daß fremde Hände sich fassen
Und Fremdwer zu Ungleich sagt: "Sei herzlich gegrüßt."
Laß deine Warnung zurück und geh schnell vorbei,
Daß wir aufrecht stehen.
Vergönne uns allen, zuinnerst frei,
Das...
Joachim Ringelnatz
Der Nachbar
Fremde Geige, gehst du mir nach?
In wieviel fernen Städten schon sprach
deine einsame Nacht zu meiner?
Spielen dich hunderte? Spielt dich einer?
Gibt es in allen großen Städten
solche, die sich ohne dich
schon in den Flüssen verloren hätten?
Und warum trifft es immer mich?
Warum bin ich immer der Nachbar derer,
die dich bange zwingen zu singen
und zu sagen: Das Leben ist schwerer
als die Schwere von allen Dingen.
Rainer Maria Rilke
Lied (Du nur, Du)
Du, der ich's nicht sage, daß ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist du's, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle...
Rainer Maria Rilke
Der Letzte
Ich habe kein Vaterhaus,
und habe auch keines verloren;
meine Mutter hat mich in die Welt hinaus
geboren.
Da steh ich nun in der Welt und geh
in die Welt immer tiefer hinein,
und habe mein Glück und habe mein Weh
und habe jedes allein.
Und bin doch manch eines Erbe.
Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht
auf sieben Schlössern im Wald,
und wurde seines Wappens müd
und war schon viel zu alt; –
und was sie mir ließen und was ich erwerbe
zum alten Besitze, ist heimatlos.
In...
Rainer Maria Rilke
bin ich in mir? oder nur hier?
bin ich die feder? oder's papier?
bin ich die mühle oder der wind?
bin ich das wasser das hier verrinnt?
bin ich die quell? oder der fluß?
bin ich der inhalt aus einem guß?
was ist hier echt? und was von mir?
verloren das ich in diesem wir?
ach all ihr menschen, hier tu ichs kund!
in all den fragen
bin ich der punkt.
Stefan Radulian
Ich will zuversichtlich sein
gelassen
liebevoll
und mich darin finden und entdecken
Danke, Gott, für diesen Tag
für meine Gefühle
für meine Kontakte
für mein Leben
Es ist gut
so wie es gerade ist
es ist genau richtig
ich mache das Beste daraus
Ich bin nicht verloren
ich habe Chancen
ich habe Freunde
ich habe Aufgaben
ich habe Träume
Ich halte durch
und gehe weiter
ich gebe nicht auf!
Beate Prager
Wer wußte je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?
Ja, der sogar, der ruhig und gelassen,
Mit dem Bewußtsein, was er soll, geboren,
Frühzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muß vor des Lebens Widerspruch erblassen.
Denn jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache,
Allein das Glück, wenn's wirklich kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.
Auch kommt es nie, wir...
August Graf von Platen Hallermund (Hallermünde)
Trauerbotschaft
Nun liebst Du tief im Grunde
Und schlummerst Nacht und Tag –
Es traf mich diese Kunde
Als wie ein Keulenschlag.
Und glaubt ich dich verloren,
Verschwunden ohne Frist –
Scheinst du mir neu geboren,
Seit du gestorben ist.
Nun blick ich unabwendig
In die Vergangenheit –
Da wirst du mir lebendig
In deiner Lieblichkeit.
Doch statt nach fernen Landen
Bist du jetzt ganz verreist –
Jetzt hab ich erst verstanden,
Ach! Was verlieren heißt.
Ludwig Pfau
Zur Erklärung
Du schiltst, daß ich mein Leben verträumt,
Statt froh es zu genießen?
Daß ich die Blumen zu pflücken versäumt,
Die rings am Wege sprießen?
So sprechend dünkst du dich klug, wie klug!
Daß Bessres du erkoren,
Indess an Wahn und Täuschung und Trug
Ich Jahr um Jahr verloren.
Glaub mir! es hielt mich des Traumes Macht
So ehern nicht umschlungen,
Daß ich nicht manchmal plötzlich erwacht
Aus seinen Dämmerungen.
Doch sieh! da schien mir all euer Glück
Nur Glitzern flücht'gen...
Betty Paoli