Unschuld Zitate (Seite 2)
Vielleicht ist das ganze Erdenleben nur eine Art Unschuld, auf die ein höherer Zustand mit weiterem Aufschlusse des Daseins folgt. Wenn dem so wäre, so könnte nichts tröstlicher und erheiternder sein, als dieser Unschuld mit Bewußtsein sich zu überlassen und sie in diesem Gedanken freudig zu genießen.
Rahel Varnhagen von Ense
Sing
Sing, wenn Du kannst, sing laut und schön,
wie Du es magst, so gut wir können,
verzweifelt, verloren, irre umher,
das neuentdeckte Land.
Stiehl die Herzen und schwebe dahin,
suche die Ferne, das Unbekannte,
sind Wanderpilger, wie Spreu im Wind,
eilen der Unschuld davon.
Von Gott verlassen, aller Augen entrückt
haben Hiobs Post versteckt.
Doch sing, wenn Du kannst,
laut und schön,
so wie Du es wagst.
Ladore de Schygall
Lebe rein, mein Herz, dies schöne Leben,
Rein von allem Fehl und bösem Wissen,
Wie die Lilie lebt in stiller Unschuld,
Wie die Taube in des Haines Wipfeln;
Daß du, wenn der Vater niederblicket,
Seist sein liebstes Augenmerk auf Erden,
Wie des Wandrers Auge unwillkürlich
An den schönsten Abendstern sich heftet;
Daß du, wenn die Sonne dich einst löset,
Eine reine Perl' ihr mögest zeigen,
Daß dein Denken sei wie Duft der Rose,
Daß dein Lieben sei wie Licht und Sonne,
Wie des Hirten Nachtgesang...
Leopold Schefer
Gekränkte Unschuld
Ein Rad gebrochen... Da liegt das Heu...
Da liegt der Wagen, und nebenbei
ein blasses, schmächtiges Dirnlein steht,
das heulend die Zipfel der Schürze dreht.
"Was willst denn"? Ich streichle ihm sanft das Gesicht.
Da zeigt's auf den riesigen Wagen, und spricht,
das zitternde Stimmchen von Schluchzen zerrissen:
"Sie sagen, ich hätte ihn umgeschmissen".
Anna Ritter
Ewigkeiten
Es spielen blonde Kinder an dem Meer,
die blauen Blicke leise zu mir gleiten,
die blauen Wogen schenken Muscheln her,
wenn sie zurück vom Meeresstrande schreiten.
Es schenkt das Kind – was eine Unschuld gibt:
den Dankesblick, der Gott und Erde liebt.
Ich sehe Gott im Kinderaugenglanz,
ich höre ihn in stetem Wogenrauschen,
und jetzt erst fasse ich sein Wunder ganz:
Ich sehe Ewigkeiten Schätze tauschen!
und jene Frage ist für mich vorbei,
in welcher Ewigkeit er größer sei.
Anton Renk
In der Schönheit frischem Blütenkranze
Prangt der Unschuld Lilie so schön;
Mit des Seelenfriedens heiterm Glanze
Wird sie deines Auges Licht erhöh'n.
Zu des Weibes höchstem Schmuck erkoren,
Fesselt sie der Jugend Rosenzeit;
Doch ihr Zauber geht ihr bald verloren,
Huldigst du der leeren Eitelkeit.
Clara Müller-Jahnke
Schöne, gute Nacht!
Allem schöne gute Nacht,
was da schläft und was noch wacht:
Kindern goldne Weihnachtsbäume,
Knaben Kampf- und Minneträume,
Jungfraun reiner Unschuld Walten,
Dichtern glänzende Gestalten,
Müttern aus prophet'schen Bronnen
ihrer Kinder Künf'ge Wonnen,
Männern hoher Taten Mahnung,
Greisen nahen Friedens Ahnung;
allem schöne gute Nacht,
was da schläft und was noch wacht!
Friedrich Heinrich Karl Freiherr de la Motte-Fouqué
Liebesglück
Wenn Dichter sonst in warmen Phantasien,
Von Liebesglück und schmerzlichem Vergnügen,
Sich oder uns, nach ihrer Art, belügen,
So sei dies Spielwerk ihnen gern verziehen.
Mir aber hat ein güt'ger Gott verliehen,
Den Himmel, den sie träumen, zu durchfliegen,
Ich sah die Anmut mir im Arm sich schmiegen,
Der Unschuld Blick von süßem Feuer glühen.
Auch ich trug einst der Liebe Müh' und Lasten,
Verschmähte nicht, den herben Kelch zu trinken,
Damit ich seine Lust nun ganz...
Eduard Mörike
Der höhere Friede
Wenn sich auf des Krieges Donnerwagen
Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf,
Menschen, die im Busen Herzen tragen,
Herzen, die der Gott der Liebe schuf:
Denk' ich, können sie doch mir nichts rauben,
Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt,
Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben,
Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt;
Nicht des Ahorns dunkelm Schatten wehren,
Daß er mich im Weizenfeld erquickt,
Und das Lied der Nachtigall nicht stören,
Die den stillen Busen mir...
Heinrich von Kleist
Rose, wie bist du reizend und mild!
Du bist der Unschuld liebliches Bild.
Rose, du trinkest himmlischen Tau,
schmückest den Busen, Garten und Au.
Du, die zur Gabe ich mir erkor,
lächelst aus Dornen freundlich hervor.
Sendest noch sterbend Düfte uns zu
Rose, du Holde!
Leben und sterben will ich wie du.
Johann Jakob Ihle
O, wie tiefer schmerzt uns der Unfall,
Wenn uns süße Worte schlau betrogen,
Wenn uns Freundesdienst in's Unglück lockte,
Wenn uns Hoffnung, Glaub' und Treue täuschten!
Mutter Erde, kannst du Menschen tragen,
Die, wenn Unschuld ihnen sich vertraute,
Sie mit süßer Freundschaft Milch vergiften?
Johann Gottfried von Herder
Das Heiligste
Wenn zwei sich ineinander still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken;
Dann müssen beide Welten sich verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.
Was in dem Geist des Mannes, ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden
Als Schönstes dämmerte, das...
Christian Friedrich Hebbel
Erwache, schöne Schläferin,
Falls dieser Kuss nicht zu bestrafen:
Doch wenn ich dir zu zärtlich bin
Schlaf, oder scheine mir zu schlafen.
Die Unschuld, die nur halb erwacht,
Wann Lieb' und Wollust sie erregen,
Hat öfters manchen Traum vollbracht,
Den Spröde sich zu wünschen pflegen.
Was du empfindest, ist ein Traum:
Doch kann ein Traum so schön betrügen?
Gibst du der Liebe selbst nicht Raum:
So laß dich dann ihr Bild vergnügen.
Friedrich von Hagedorn