Tens Zitate
Morgenlied
Mit edeln Purpurröten
und hellem Amselschlag,
mit Rosen und mit Flöten
stolziert der junge Tag.
Der Wanderschritt des Lebens
ist noch ein leichter Tanz,
ich gehe wie im Reigen
mit einem frischen Kranz.
Ihr taubenetzten Kränze,
der neuen Morgenkraft,
geworfen aus den Lüften
und spielend aufgerafft -
Wohl manchen ließ ich welken
noch vor der Mittagsglut;
zerrissen hab ich manchen
aus reinem Übermut.
Mit edeln Purpurröten
und hellem Amselschlag,
mit Rosen und mit Flöten
stolziert der...
Conrad Ferdinand Meyer
Segen
Der Schlehdorn steht in Blüten,
nun da ich scheiden muß.
Die Schwalbe aus dem Süden
bringt mir den Abschiedsgruß.
Der Schlehdorn steht in Blüten;
so blühst, mein Kind, auch du.
Brich sie für mich, den Müden,
deck mich mit ihnen zu.
Der Schlehdorn steht in Blüten;
welch eine süße Last.
Mag dich der Herr behüten,
wenn du mich nicht mehr hast!
Karl May
Erster Schnee
Fern, irgendwo im Himmelblau,
Ein sonderzartes Land.
Die Heiden weiß,
Besprossen lilaklare Primelblüten.
Blüten groß, offen erschlossen,
Augen, weite Augen, die an Tränen saugen,
Sanfte Augen, die ein Paradies behüten.
Mit weißen Fingern
Ein stilles Kind
Spielt mit den Primeln,
Lacht mit dem Wind.
Zaudernd auf schleichenden Zehen,
Über die Blüten,
Weiße Rudel
...
Max (Maximilian Albert) Dauthendey
Nachtgebet
Im Donnern und Blitzen,
Auf Bergesspitzen
Ist Gott der Herr.
Im Sonnenbrüten
In schauernden Blüten,
In Sturmeswüten
Ist der Herr.
In Wolken wohnt er,
Im Frührot thront er,
Im Regen rauscht seine
Gnade durchs Land
Die Erde bannt er,
Das All umspannt er,
Du Unbekannter,
Herr Gott, ich befehl' mich
In deine Hand.
Maurice Reinhold von Stern
Und wüßten's die Blumen, die kleinen,
wie tief verwundet mein Herz,
Sie würden mit mir weinen,
Zu heilen meinen Schmerz.
Und wüßten's die Nachtigallen,
Wie ich so traurig und krank,
Sie ließen fröhlich erschallen
erquickenden Gesang.
Und wüßten sie mein Wehe,
Die goldenen Sternelein,
Sie kämen aus ihrer Höhe,
Und sprächen Trost mir ein.
Die alle können's nicht wissen,
Nur eine kennt meinen Schmerz:
Sie hat ja selbst zerrissen,
zerrissen mir das Herz.
Heinrich Heine
Menschlichkeit
Der grausamste Krieg – der menschlichste Krieg!
Zum Frieden führt er durch raschesten Sieg.
Kaum hört's der Gegner, denkt er: Hallo!
Natürlich wüt' ich dann ebenso!
Nun treiben die beiden Wüteriche
Die Grausamkeit ins Ungeheuerliche
Und suchen durch das grausamste Wüten
Sich gegenseitig zu überbieten –
Jeder gegen den andern bewehrt
Durch zehn Millionen Leute,
Und wenn sie noch nicht aufgehört,
Dann wüten sie noch heute.
Frank Wedekind
Der Traum
Im schönsten Garten wallten
Zwei Buhlen Hand in Hand,
Zwo bleiche, kranke Gestalten,
Sie saßen ins Blumenland.
Sie küßten sich auf die Wangen
Und küßten sich auf den Mund,
Sie hielten sich fest umfangen,
Sie wurden jung und gesund.
Zwei Glöcklein klangen helle,
Der Traum entschwand zur Stund;
Sie lag in der Klosterzelle,
Er fern in Turmes Grund.
Ludwig Uhland
Wenn aber Christus, der gesagt hat: "Du sollst nicht töten!"
an seinem Kreuz sehen muß, wie sich die Felder blutig röten;
wenn die Pfaffen Kanonen und Flugzeuge segnen
und in den Feldgottesdiensten beten, daß es Blut möge regnen;
und wenn die Vertreter Gottes auf Erden
Soldaten-Hämmel treiben, auf daß sie geschlachtet werden;
Und wenn die Glocken läuten: "Mord!" und die Choräle hallen:
"Mord! Ihr sollt eure Feinde niederknallen!"
Und wenn jemand so verrät den Gottessohn –
Das ist keine...
Kurt Tucholsky
Herbstlicht
Der frühe erste Schnee
ist schwere Last wohl
für den Baum;
zu Eiskristall erstarrt
der leise Herzenstraum.
Die Kälte bricht ganz jäh
so manchen Ast ...;
und doch:
wenn durch die Zweige dann
der Schein der späten Sonne dringt
und tausend Glitzersterne
sanft zur Erde schweben,
ist es ein Herbstlicht
wie noch nie:
wenn wie im Märchen
goldne Blätter Spitzendecken weben
und durch das Weiß der Wiese
rote Blüten leuchten.
Ingrid Streicher
Schwertlilien
Das sind die Blumen, die wie Kirchen sind.
Ein Blick in sie hinein zwingt uns zu schweigen.
Wie Weihrauch fromm berauschend strömt ihr Duft,
Wenn wir uns zu der schönen Blüte neigen.
Sie sind wie Schmetterlinge dünn und zart.
Und wissen ihr Geheimnis doch zu hüten.
Es hellen goldne Kerzen sanft den Pfad
Ins Allerheiligste der Wunderblüten.
Francisca Stoecklin