Sinn Zitate (Seite 18)
Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweigen
Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweigen.
Ich wollt es jubelnd zu den Menschen schmettern,
die bleich am Baume der Erkenntnis klettern,
das Glück vermutend in den kahlen Zweigen.
Ich wollt sie rufen zu den breiten Küsten,
an die des Meeres Wellen silbern schlagen.
Ich wollt sie lehren leichte Schultern tragen
und freien Sinn in übermüt'gen Brüsten.
Ich stoß ins Horn. Noch einmal. – Doch ich staune:
die Menschen lachen, die ich wecken...
Erich Mühsam
An die Geliebte
Wenn ich von deinem Anschaun tief gestillt,
mich stumm an deinem heil'gen Wert vergnüge,
dann hör ich recht die leisen Atemzüge
des Engels, welcher sich in dir verhüllt.
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
mein kühnster Wunsch, mein einz'ger sich erfüllt?
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
ich höre aus der Gottheit mächt'ger Ferne
die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.
...
Eduard Mörike
In der Frühe
Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
dort gehe schon der Tag herfür
an meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
noch zwischen Zweifeln her und hin
und schaffet Nachtgespenster.
- Ängste, quäle
dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! Schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.
Eduard Mörike
In dieser Winterfrühe
wie ist mir doch zumut!
O Morgenrot, ich glühe
vor deinem Jugendblut.
Es glüht der alte Felsen
und Wald und Burg zumal,
berauschte Nebel wälzen
sich jäh hinab ins Tal.
Mit tatenfroher Eile
erhebt sich Herz und Sinn
und flügelt goldne Pfeile
durch alle Ferne hin.
Ach wohl! was aus mir singet
ist nur der Liebe Glück,
die wirren Töne schlinget
sie sanft in sich zurück.
Eduard Mörike
Das Licht
In deine Flamme schau ich, Kerzenlicht,
die wie ein Schwert die Finsternis durchbohrt.
Hab Dank, du schonest auch den Schatten nicht,
der meinen schlafgemiednen Sinn umflort.
Ich nähre mich an deiner ruhigen Kraft,
du Bild der Seele, die das Dunkel trennt
und ihres Leibes erdenschweren Schaft
gleich einer Fackel in den Raum verbrennt.
Christian Morgenstern