Sehen Zitate (Seite 12)
Wenn alles da war, wenn nichts Neues lebt,
So ist der Geist in seiner Hoffnung blind,
Der in den Wehen neuen Schaffens bebt
Und nur nochmals trägt ein vorhandnes Kind.
O, könnten rückwärts meine Augen spähen
Fünfhundert Jahre mit der Sonne Lauf,
Dein Bild in einem alten Buch zu sehen,
Da Schrift zuerst nahm den Gedanken auf;
Gern sähe ich, wie man in alten Tagen
So stolz gefügtes Wunderwerk besang,
Ob jene uns, ob wir sie überragen,
Ob alles gleich blieb in der Zeiten Gang;
Doch sicher weiß...
William Shakespeare
Mitten im Netz
Mitten im Netz
der eigenen Gedanken
gefangen von Seilen
die fester werden
je mehr du versuchst
das Netz zu zerstören
Sträfling in der Zelle Mensch
an den Füßen
große Kugeln
aus Stahl
die dir
von der Vergangenheit erzählen
doch wenn du
einen Stuhl findest
der Liebe heißt
kannst Du aus dem Fenster sehen
die Sonne umarmen
und das Netz liegt
regungslos
hinter dir
Engelbert Schinkel
Von des Turmes höchster Spitze
Schau' ich in die Welt herein,
Schaue auf erhab'nem Sitze
In das Treiben der Partein.
Und die Katzenaugen sehen,
Und die Katzenseele lacht,
Wie das Völklein der Pygmäen
Unten dumme Sachen macht.
Doch was nützt's? ich kann den Haufen
Nicht auf meinen Standpunkt ziehn,
Und so laß ich ihn denn laufen,
's ist wahrhaft nicht schad' um ihn.
Menschentun ist ein Verkehrtes,
Menschentun ist Ach und Krach;
Im Bewußtsein seines Wertes
Sitzt der Kater auf dem...
Joseph Victor von Scheffel
Schmerzen
Körperlich –
Psychische Schmerzen –
Ziehen, Stechen, Zerreißen –
treiben mir Tränen in die Augen.
Wut, Einsamkeit, Trauer und Angst
läßt Leere in mir entstehen.
Wo soll ich nur mit all diesen Schmerzen hin?
Nicht zu Euch,
denn Ihr wollt die »Alte«
sehen, hören und fühlen.
So bleiben sie eben dort vergraben,
wo sie hingehören;
In und bei mir.
Alexandra Savnik
Kinderaugen
Sie schauen Dich an
und
sprechen ihre eigene Sprache.
Sagen so viel aus.
Kein Versteck - Spiel -
pures Ich - sein.
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.
Wohl wissend,
ich schaue täglich in zig dieser Augenpaare
und erfahre immer wieder
die Welt aus der Perspektive dieser Kinderaugen
zu sehen.
Alexandra Savnik
Klage
Das aber ist das Traurigste: zu sehen,
Wie tief die Menschheit wurzelt im Gemeinen,
Wie Taten, die uns hier die höchsten scheinen,
Zumeist aus niedrem Antrieb nur geschehen.
Wie es die Besten selbst so schwer verstehen,
Daß man nur schöpfen dürfe aus dem Reinen,
Und wie es gibt von Tausenden kaum einen,
Der sich den eignen Vorteil läßt entgehen.
Und so geschiet es, daß in diesem Leben
Ein hoher Sinn gereicht zu Hohn und Schande,
Ward des Erfolges Glanz ihm nicht gegeben.
Und so...
Ferdinand von Saar
Wiedersehen
Leb' wohl und sehen wir uns wieder,
So schlage du die Augen nieder,
Und gehn will ich an dir vorbei.
Als ob ichs nicht gewesen sei;
Als ob ich nicht es sei gewesen,
Der dir im Aug' einst durfte lesen.
Was würd' ich lesen jetzt darin?
Daß ich dir fremd geworden bin.
Ich wills nicht in dem Auge lesen,
Das einst mein Himmel ist gewesen,
Daß ich daraus verstoßen bin,
Und nie ein Rückweg ist dahin.
Friedrich Rückert
Du hast zwei Ohren und einen Mund;
Willst du's beklagen?
Gar vieles sollst du hören und
Wenig darauf sagen.
Du hast zwei Augen und einen Mund;
Mach dir's zu eigen!
Gar manches sollst du sehen und
Manches verschweigen.
Du hast zwei Hände und einen Mund;
Lern' es ermessen!
Zweie sind zur Arbeit und
Einer zum Essen.
Friedrich Rückert
Mit vierzig Jahren
Mit vierzig Jahren ist der Berg erstiegen,
wir stehen still und schaun zurück.
Dort sehen wir der Kindheit stilles liegen
und dort der Jugend lautes Glück.
Noch einmal schau, und dann gekräftigt weiter
erhebe deinen Wanderstab!
Hindehnt ein Bergesrücken sich, ein breiter,
und hier nicht, drüben gehts hinab.
Nicht atmend aufwärts brauchst du mehr zu steigen,
die Ebne zieht von selbst dich fort;
dann wird sie sich unmerklich mit dir neigen,
und eh du's denkst, bist...
Friedrich Rückert