Schatten Zitate (Seite 5)
Liebe
Leise wie ein Hauch,
Zärtlich wie ein Lied,
Furchtsam wie der Schatten,
Und so treu doch auch –
Arme kleine Liebe,
Die ich hart verstieß,
Die ich oft des Tages,
Zürnend von mir wies,
Stehst du nun zur Nacht,
Stehst vor meiner Tür,
Rufst mit süßer Stimme,
Bis ich aufgemacht?
Arme kleine Liebe,
Hast nun doch gesiegt,
Daß dir meine Seele
Still zu Füßen liegt.
Anna Ritter
Herbstliche Wege
Des Sommers weiße Wolkengrüße
zieh'n stumm den Vogelschwärmen nach,
die letzte Beere gärt voll Süße,
zärtliches Wort liegt wieder brach.
Und Schatten folgt den langen Wegen
aus Bäumen, die das Licht verfärbt,
der Himmel wächst, in Wind und Regen
stirbt Laub, verdorrt und braun gegerbt.
Der Duft der Blume ist vergessen,
Frucht birgt und Sonne nun der Wein
und du trägst, was dir zugemessen,
geklärt in deinen Herbst hinein.
Joachim Ringelnatz
Ehrgeiz
Ich habe meinen Soldaten aus Blei
Als Kind Verdienstkreuzchen eingeritzt.
Mir selber ging alle Ehre vorbei,
Bis auf zwei Orden, die jeder besitzt.
Und ich pfeife durchaus nicht auf Ehre.
Im Gegenteil. Mein Ideal wäre,
Ein Gäßchen nach mir benannt, ein ganz schmales
Und krummes Gäßchen, mit niedrigen Türen
Mit steilen Treppchen und feilen Hürchen,
Mit Schatten und schiefen Fensterluken.
Dort würde ich spuken.
Joachim Ringelnatz
Psst
Träume deine Träume in Ruh
Wenn du niemandem mehr traust
Schließe die Türen zu,
Auch deine Fenster,
Damit du nichts mehr schaust.
Sei still in deiner Stille,
Wie wenn dich niemand sieht.
Auch was dann geschieht,
Ist nicht dein Wille.
Und im dunkelsten Schatten
Lies das Buch ohne Wort.
Was wir haben, was wir hatten,
Was wir…
Eines Morgens ist alles fort.
Joachim Ringelnatz
[Gott]
Du kommst und gehst. Die Türen fallen
viel sanfter zu, fast ohne Wehn.
Du bist der Leiseste von allen,
die durch die leisen Häuser gehn.
Man kann sich so an dich gewöhnen,
daß man nicht aus dem Buche schaut,
wenn seine Bilder sich verschönen,
von deinem Schatten überblaut;
weil dich die Dinge immer tönen
nur einmal leis und einmal laut.
Oft wenn ich dich in Sinnen sehe,
verteilt sich deine Allgestalt;
du gehst wie lauter lichte Rehe,
und ich bin dunkel und bin Wald.
Du bist ein Rad, an...
Rainer Maria Rilke
Gott, wie begreif ich deine Stunde,
als du, daß sie im Raum sich runde,
die Stimme vor dich hingestellt;
dir war das Nichts wie eine Wunde,
da kühltest du sie mit der Welt.
Jetzt heilt es leise unter uns.
Denn die Vergangenheiten tranken
die vielen Fieber aus dem Kranken,
w i r fühlen schon in sanftem Schwanken
den ruhigen Puls des Hintergrunds.
Wir liegen lindernd auf dem Nichts
und wir verhüllen alle Risse;
du aber wächst ins Ungewisse
im Schatten deines Angesichts.
Rainer Maria Rilke
Der Leser
Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht
wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten,
das nur das schnelle Wenden voller Seiten
manchmal gewaltsam unterbricht?
Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß,
ob er es ist, der da mit seinem Schatten
Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten,
was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis
er mühsam aufsah: alles auf sich hebend,
was unten in dem Buche sich verhielt,
mit Augen, welche statt zu nehmen, gebend
anstießen an die fertig-volle...
Rainer Maria Rilke
Nur wer die Leier schon hob
Auch unter Schatten,
Darf das unendliche Lob
Ahnend erstatten.
Nur wer mit Toten vom Mohn
Aß, von dem ihren,
Wird nicht den leisesten Ton
Wieder verlieren.
Mag auch die Spieglung im Teich
Oft uns verschwimmen:
Wisse das Bild.
Erst in dem Doppelbereich
Werden die Stimmen
Ewig und mild.
Rainer Maria Rilke
Die Welt, die monden ist
Vergiß, vergiß, und laß uns jetzt nur dies
erleben, wie die Sterne durch geklärten
Nachthimmel dringen, wie der Mond die Gärten
voll übersteigt. Wir fühlten längst schon, wie's
spiegelnder wird im Dunkeln; wie ein Schein
entsteht, ein weißer Schatten in dem Glanz
der Dunkelheit. Nun aber laß uns ganz
hinübertreten in die Welt hinein
die monden ist.
Rainer Maria Rilke
Der Tod der Geliebten
Er wußte nur vom Tod, was alle wissen:
daß er uns nimmt und in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,
hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
und als er fühlte, daß sie drüben nun
wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
und ihre Weise wohlzutun:
Da wurde ihm die Toten so bekannt,
als wäre er durch sie mit einem jeden
ganz nah verwandt; er ließ die andern reden
und glaube nicht und nannte jenes Land
das...
Rainer Maria Rilke
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter...
Rainer Maria Rilke
Traumhafte Begegnung
Mir träumte, ich ging eines samstags aus –
am Rande der Stadt in ein Kaffeehaus.
Und wurde begleitet mit fröhlicher Miene
von einer Dame namens Christine.
Bei duftendem Kaffee da schmolz schnell das Eis.
(und ganz nebenbei: das Wetter war heiß)
Wir saßen im Schatten unter dem Baum.
Und das Beste kommt jetzt: Es war gar kein Traum!
Klaus Reißig