Nur Zitate (Seite 239)
Schmerz
Ja, es gibt ein schönes Sehnen,
Das wie aus der tiefsten Nacht
In dem Herzen aufgewacht,
Greift nach Waffen, findet Tränen.
Viele lieben, viele wähnen,
Daß Liebe nur Lust dem Herzen
Schenken soll und keine Schmerzen:
Alle Farben müssen fließen,
Wenn ein Licht sich soll ergießen
Aus dem goldenen Brand der Kerzen.
Ludwig Tieck
Zeit
So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind.
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden, die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.
Ludwig Tieck
Wolken und Wellen
Es schweben die rötlichen Wolken
Hoch über Stadt und See.
Was bergt ihr in luftigen Falten,
Ist's Lust, ist's herbes Weh?
Sie türmen sich auf und dräuen,
Sie glühn im Wetterschein
Und werden in wenigen Stunden
Verweht, vergessen sein.
Am Ufer branden die Wellen,
Sie rollen stolz daher.
Sie schäumen im Sand und zerrinnen,
Kein Auge schaut sie mehr.
Die Wolken und Wellen zerfliessen,
Nur eines bleibt gewiss,
Das ist der blaue Himmel
Dort in dem Wolkenriss.
Rudolf von Tavel
In der Stille
Ist mein Wille
Nur auf dich, mein Gott, gestellt;
All mein Ringen, all mein Denken
Strebt in Gott sich einzusenken,
Dessen Hauch mich süß umschwebt.
Seelenfrieden
Ist beschieden
Mir, der so in Gott sich wiegt.
O ihr Schmerzen, Gram und Trauer,
Seid ihr mehr als Mainachtsschauer,
Draus der Tag erglänzt und siegt?
Karl Rudolf Tanner
Grabschrift
War's dir nicht möglich, Ewiger,
des Lebens und des Sterbens Herr,
mein Flehen zu erhören,
da ich im Staube vor dir rang
und da mein Weinen aufwärts drang
zu deinen Jubelchören?
Was jubelt wohl die Engelschar,
wozu schlägt man die Harfen gar,
als um das große Stöhnen,
das Schreien dieser armen Welt,
den Jammer unterm Himmelszelt
mit List zu übertönen?
Mein Stöhnen war dir nur ein Spott,
du nahmst ihn mir, o Herre Gott,
behalt ihn denn zum Raube;
nun siehe, was dein Zorn mir...
Hermann Sudermann
Der Bauer und sein Sohn
Der Bauer steht vor seinem Feld
und zieht die Stirne kraus in Falten.
"Ich hab den Acker wohlbestellt,
auf reine Aussaat streng gehalten;
nun seh mir eins das Unkraut an!
Das hat der böse Feind getan!"
Da kommt sein Knabe hochbeglückt,
mit bunten Blüten reich beladen;
im Felde hat er sie gepflückt,
Kornblumen sind es, Mohn und Raden.
Er jauchzt: "Sieh, Vater, nur die Pracht!
Die hat der liebe Gott!" gemacht!"
Julius Karl Reinhold Sturm
Gib mir ein Auge, wie die Sonne klar,
und mache mir dein Wesen offenbar.
Gib einen Geist mir, wie die Lüfte frei,
damit ich nur in dir gebunden sei.
Gib einen Glauben mir, wie Felsen fest,
der sich von keinem Sturm erschüttern läßt.
Und gib ein Herz mir, wie die Quelle rein,
und tauche tief mich in die Fluten ein.
Julius Karl Reinhold Sturm
Frühlingssehnsucht*
Wenn ich malen könnte:
wie zögernd sich
der blasse Schimmer
dieser Nachmittagssonne
durch den milchigen
Nebel tastet,
wie sich sein schwaches Licht
im Strom, durch Stürme
stark bewegt, in zartem
Rot zerspiegelt,
wie letzte Flocken –
Blüten gleich –
das Tal
herunter wirbeln
und wie mich das berührt:
wie ein gehauchter
Kuß von Frühling
auf eine kalte Wange.
Wenn ich nur malen könne!
(*an einem Vorfrühlingstag an der Donau)
Ingrid Streicher