Nichte Zitate (Seite 273)
Vorbei
Das ist der alte Baum nicht mehr,
Der damals hier gestanden,
Auf dem ich gesessen im Blütenmeer
Über den sonnigen Landen.
Das ist der Wald nicht mehr, der sacht
Vom Berge rauschte nieder,
Wenn ich vom Liebchen ritt bei Nacht,
Das Herz voll neuer Lieder.
Das ist nicht mehr das tiefe Tal
Mit den grasenden Rehen,
In das wir Nachts viel tausendmal
Zusammen hinausgesehen. –
Es ist der Baum noch, Tal und Wald,
Die Welt ist jung geblieben,
Du aber wurdest seitdem alt,
Vorbei ist das schöne...
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Ins Leben schleicht sich das Leiden
wie ein heimlicher Dieb,
wir alle müssen scheiden
von allem was uns lieb.
Was gäbe es nicht auf Erden,
wer hielt den Jammer aus
wer möcht geboren werden,
hieltst du nicht droben Haus!
Du bists, der, was wir bauen
mild über uns zerbricht
daß wir den Himmel schauen -
darum so klag ich nicht.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Der Unweise wacht alle Nächte,
denkt an dies und das,
müde ist er, wenn der Morgen kommt,
die Sorge aber dieselbe ist.
Der Unweise,
wenn zu eigen er Gut oder Liebe erlangt,
der Stolz wächst ihm, der Verstand aber nicht;
er steigt höher im Hochmut nur.
Viel schwatzt der Mann
der nicht schweigen kann, unverantwortlich aus;
rasche Zunge, die man im Zaun nicht hält,
spricht sich oft Unglück an.
Edda
Grabschrift
Im Schatten dieser Weide ruht
Ein armer Mensch, nicht schlimm noch gut.
Er hat gefühlt mehr als gedacht,
Hat mehr geweint als er gelacht;
Er hat geliebt und viel gelitten,
Hat schwer gekämpft und – nichts erstritten.
Nun liegt er endlich sanft gestreckt,
Wünscht nicht zu werden auferweckt.
Wollt Gott an ihm das Wunder tun,
Er bäte: Herr, o laß mich ruhn!
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Den eigenen Kindern die Freiheiten zuzugestehen,
das tun zu dürfen,
was man einst selber tun wollte,
aber nicht tun durfte,
heißt noch nicht,
die Intoleranz,
die einem an der eigenen Erziehung widerfahren ist,
überwunden zu haben
den eigenen Kindern aber die Freiheiten zuzugestehen,
das tun zu dürfen,
was man einst selber tun mußte, aber nicht tun wollte,
ist die eigentliche Kunst
einer toleranten Eltern-Kind-Beziehung
Gerald Dunkl
Dank an ein Kind
Danke
für deine Liebe
die du uns schenkst
obwohl wir dir
die Beachtung nicht gönnen
die du verdienst
obwohl wir dich
deine Gefühle und Wünsche
nicht ernst nehmen
obwohl wir Forderungen
an dich stellen
die wir
nicht bereit wären
dir gegenüber zu erfüllen
danke
daß du uns ehrst
obwohl wir dir
die Ehre
die dir gebührt
verweigern
danke
daß du uns vertraust
obwohl wir
dein Vertrauen
so oft mißbrauchen
Gerald Dunkl
Gedankliches
Ich sitze hier
in den Wäldern
im Schatten des Berges
dessen Namen ich nicht kenne
der Baumstumpf unter mir
drängt mir mit seiner harten Feuchtigkeit
Gedanken des Lebens in den Kopf
wenn ich in die Ferne sehe
zu einem von Gehölz verdeckten Horizont
um seine Grenzen zu verlassen
wohin werde ich gelangen
wenn ich von einem Horizont zum nächsten schwebe
die Unbegrenztheit der Unendlichkeit verlassend
in welchen Alleen werde ich sein
die alle noch immer nicht
das Alles sind
der...
Gerald Dunkl
Neue Horizonte
Aus Angst vor dem Fallen
am Boden lang kriechen.
Nur einsam und heimlich
am Blumenstrauß riechen.
Aus Angst vor dem Echo
den Mund lieber halten.
Nicht merken,
wie Wärme und Liebe erkalten.
Nach Sicherheit streben,
übers Geld günstig walten
und schließlich ein Türchen
nach hinten behalten.
Das spricht für sich selber.
Braucht nicht meine Meinung.
Es bleibt eine
traurige Alltagserscheinung.
Doch nehme ich den Mut in mir
und schaue hinter dieses Tun,
entdecke ich...
Sonja Drechsel-Walther
Wohl manch Gebet klopft an des Himmels Pforte,
Das keinen Einlaß kann am Tor bekommen:
Weil allen Erdenwust es mitgenommen,
Um zu erscheinen vor dem höchsten Horte.
Wohl ist schon oft an einem stillen Orte
In einer Seele wie ein Blitz erglommen
Ein Lichtgedanke, heil'ger als der Frommen
Gebete und der Priester heil'ge Worte.
Das Beten ist nicht eine ird'sche Bitte,
Es holt nicht erst, es trägt in sich den Segen;
Das Beten ist nicht eine fromme Sitte:
Das Beten ist der Seele freies Regen,
Die...
Karl Ferdinand Dräxler-Manfred
Abschied
Nur den Abschied schnell genommen,
Nicht gezaudert, nicht geklagt,
Schneller als die Thränen kommen,
Losgerissen, unverzagt.
Aus den Armen losgewunden,
Wie dir's in der Brust auch brennt,
Was im Leben sich gefunden,
Wird im Leben auch getrennt.
Sollst du tragen, mußt du tragen,
Trage nur mit festem Sinn,
Deine Seufzer, deine Klagen
Wehen in die Lüfte hin.
Soll der Schmerz nicht dich bezwingen,
So bezwinge du den Schmerz,
Und verwelkte Blüthen schlingen
Frisch sich um dein wundes Herz.
Johann Ludwig Deinhardstein
Erfüllung
Daß du auch an meinem Herzen,
Herz, nur neue Sehnsucht fühlst
und dich in vergangne Schmerzen
schmerzlicher als je verwühlst:
ist das nicht Erfüllung. Du?
Wenn die Erde schmilzt vom Eise,
daß die Luft nach Frühling schmeckt,
und in immer neuer Weise
wild ihr Grün zum Himmel reckt:
ist das nicht Erfüllung, Du?
Wenn wir dann noch Ostern feiern,
weil ein Mensch sein Leben ließ,
der den Frevlern wie Kasteiern
gleiche Seligkeit verhieß:
ist das nicht Erfüllung, Du?
Laß die tragische...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Ansturm
O zürne nicht, wenn mein Begehren
Dunkel aus seinen Grenzen bricht,
Soll es uns selber nicht verzehren,
Muß es heraus ans Licht!
Fühlst ja, wie all mein Innres brandet,
Und wenn herauf der Aufruhr bricht,
Je über deinen Frieden strandet,
Dann bebst du, aber du zürnst mir nicht.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Dann
Doch als du dann gegangen,
da hat sich mein Verlangen
ganz aufgethan nach dir ...
Als sollt' ich dich verlieren,
schüttelte ich mit irren
Fingern deine verschlossne Thür.
Und durch die Nacht der Scheiben,
ob du nicht würdest bleiben,
bettelten meine Augen, und –
Du gingst hinauf die Stufen
und hast mich nicht gerufen,
mich nicht zurück an deinen Mund.
Vernahm nur noch mit stieren
Sinnen dein Schlüsselklirren
im schwarzen Flur, und dann –
Traum ... bis die Schatten kamen,
wo wir im Park...
Richard Fedor Leopold Dehmel