Müde Zitate (Seite 63)
Und wer franzet oder britet,
Italienert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre,
Was die Eigenliebe heischet.
Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler noch des einen,
Wenn es nicht am Tage fördert,
Wo man selbst was möchte scheinen.
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.
...
Johann Wolfgang von Goethe
Frühling
Tage der Wonne,
Kommt ihr so bald?
Schenkt mir die Sonne
Hügel und Wald?
Reichlicher fließen
Bächlein zumal.
Sind es die Wiesen?
Ist es das Tal?
Blauliche Frische!
Himmel und Höh!
Goldene Fische
Wimmeln im See.
Buntes Gefieder
Rauschet im Hain;
Himmlische Lieder
Schallen darein.
Unter des Grünen
Blühender Kraft
Naschen die Bienen
Summend am Saft.
Leise Bewegung
Bebt in der Luft,
Reizende Regung,
Schläfernder Duft.
Mächtiger rühret
Bald sich ein Hauch,
Doch er verlieret
Gleich sich im...
Johann Wolfgang von Goethe
Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder;
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
Aus dem Komplex zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?
Johann Wolfgang von Goethe
Lied des Mädchens
Laß schlafen mich und träumen,
Was hab' ich zu versäumen
In dieser Einsamkeit!
Der Reif bedeckt den Garten,
Mein Dasein ist ein Warten
Auf Liebe nur und Lenzeszeit.
Es kommt im Frühlingsglanze
Für jede kleine Pflanze
Einmal der Blütentag.
So wird der Tag auch kommen,
Da diesem Frost entnommen
Mein Herz in Wonnen blühen mag.
Doch bis mir das gegeben,
Däucht mir nur halb mein Leben,
Und kalt wie Winters Wehn;
Trüb schauert's in den Bäumen –
O laß mich schlafen, träumen,
Bis...
Emanuel Geibel
Nicht lächelt mehr der Strand
mit holdem Angesicht dir zu.
Verloren streifst du grau durch grauen Sand,
tauchst schweigend ein in geisterhafte Winterruh.
Lido-Einsamkeit … ein wehes Wort.
Wo ehedem das Leben hohe Wellen schlug,
da find'st du heut nur traurig-öden Ort.
War alles denn nur Traum, armseliger Betrug?
Die hölzern' Hütten knarren noch wie immer,
des Meeres Wogenflut bespült den Sand
in ruheloser Gier.
Und auch der Möven kreischendes Gewimmer
erfüllt die Luft noch über dir.
Carl Peter Fröhling
Milde und Demut
Sei milde stets und halte fern
Von Hoffahrt deine Seele;
Wir wandeln alle vor dem Herrn
Des Wegs in Schuld und Fehle.
Woll' einen Spruch, woll' ein Geheiß
Dir in die Seele schärfen:
Es möge, wer sich schuldlos weiß,
Den Stein auf andre werfen.
Die Tugend, die voll Stolz sich giebt,
Ist eitles Selbsterheben;
Wer alles Rechte wahrhaft liebt,
Weiß Unrecht zu vergeben.
Theodor Fontane
Erinnerung
Der Morgen weht mit zarten Lüften,
Und spielt mit Gras und Blatt und Blüt',
Und haucht aus tausend süßen Düften
Erinnerung in mein Gemüt.
Wie bald verweht des Lebens Morgen!
Kein Frühling macht uns wieder jung.
Was bleibt uns zwischen Pein und Sorgen
Als du – als du, Erinnerung?
Momente kommen gut und herzlich,
Und man vergißt das schlimme Jahr,
Ach, man gedenkt entzückend-schmerzlich
Der Stunden, die man glücklich war.
Das Leben ist ein Kranz von Blüten,
Tief zwischen Dornen...
Ernst Freiherr von Feuchtersleben
Noch geschwind leben
Noch geschwind
ein paar sehnsüchtige Blicke
zum Himmel werfen
und der Unendlichkeit
tief in die Regenbogenaugen schauen.
Noch schnell
das Feuer der Hoffnung entzünden
und alle Zweifel und Ängste verbrennen.
Noch geschwind
die Quellen der Mißverständnisse
trockenlegen und Wasser
auf die Mühlen des Verstehens leiten.
Noch schnell
alles Überflüssige zum Teufel jagen
und eine Herde Zärtlichkeit
abfangen zwischen Herz und Hirn.
Noch geschwind
dem Leben ins Genick...
Ernst Ferstl
Ruhe des Herzens
Wie heimlich glüht ein Bild
aus langer Dämm'rung:
Ein Sommerabend war's
Im Heimatdorfe;
Noch lag ein Sonnenhauch
Auf Dach und Giebeln,
Und hell stand schon der Mond
In leerer Straße.
Der Nachbar sprach ein Wort
Von Tau und Regen,
Er sprach zu seinem Weib
Drin in der Kammer;
Er zog das Fenster an,
Es klang der Riegel;
Ein erstes Sternlein trat
Aus lichtem Dunkel.
Aus fernen Gärten klang
Ein Mädchenlachen;
Ein letzter Nachhall dann
Und letzte Stille.
Und all die Sommerwelt
Ging...
Otto Ernst
Der Pilot
Glaube stehet still erhoben
Überm mächt'gen Wellenklan,
Lieset in den Sternen droben
Fromm des Schiffleins sichern Gang.
Liebe schwellet sanft die Segel,
Dämmernd zwischen Tag und Nacht
Schweifen Paradieses Vögel,
Ob der Morgen bald erwacht?
Morgen will sich kühn entzünden,
Nun wird's mir auf einmal kund;
Hoffnung wird die Heimat finden
Und den stillen Ankergrund.
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Schneeglöckchen
S' war doch wie ein leises Singen
in dem Garten heute Nacht,
wie wenn laue Lüfte gingen:
"Süße Glöcklein, nun erwacht,
denn die warme Zeit wir bringen,
eh's noch jemand hat gedacht." -
s' war kein Singen, s' war ein Küssen,
rührt die stillen Glöcklein sacht,
dass sie alle tönen müssen
von der künft'gen bunten Pracht.
Ach, sie konnten's nicht erwarten,
aber weiß vom letzten Schnee
War noch immer Feld und Garten,
und sie sanken um vor Weh.
So schon manche Dichter...
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
Das Bilderbuch
Von der Poesie sucht Kunde
Mancher im gelehrten Buch,
Nur des Lebens schöne Runde
Lehret dich den Zauberspruch;
Doch in stillgeweihter Stunde
Will das Buch erschlossen sein,
Und so blick ich heut hinein,
Wie ein Kind im Frühlingswetter
Fröhlich Bilderbücher blättert,
Und es schweift der Sonnenschein
Auf den buntgemalten Lettern,
Und gelinde weht der Wind
Durch die Blumen, durch das Herz
Alte Freuden, alten Schmerz -
Weinen möcht ich, wie ein Kind!
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff