Müde Zitate (Seite 27)
Hyazinthe
Hyazinthe war die teure
Lieblingsblume meiner Mutter,
Die ein Lenzeskind gewesen,
Eine echte Märzgeborne.
Jährlich um des Monats Mitte,
Trat ich morgens in ihr Zimmer
Und bescherte zum Geburtstag
Ihr die ersten Hyazinten.
Lenz durchglomm ihr blaues Auge,
Wob in ihrem feinen Antlitz
Und umstrahlte noch im Alter
den kastanienbraunen Scheitel.
Märzenstark war ihre Seele,
Die sich hob aus allem Niedern
Zum Erhab'nen und zum Zarten
Wie auf sichtbar hellen Schwingen.
Und auch diese Edle...
Emil Claar
Laß den Zorn, die stürmische Erregung.
Alles Ungestüm hat keine Dauer:
Keine Stunde währt ein Hagelschauer,
keinen Tag des Wirbelwinds Bewegung.
Rasch verglüht des Blitzes Feuerklinge -
Und dies sind des Himmels große Mächte.
Stille ziemt dem kleinen Geschlechte.
Und selber ordnen sich die Dinge.
Laotse
Eins fehlt! Erst Wille, ernst und echt,
Löscht des Gesetzes Durst nach Recht.
Erst mußt du wollen, und nicht nur
Des Möglichen gemeine Spur,
Nicht nur die Summe von Beschwerd'
Und Müh', die eine Tat begehrt.
Nein, wollen muß dein föhlicher Mut
Durch aller Schrecken Flut und Glut.
Das ist kein Martertum, in Wehn
Am Pfahl des Kreuzes zu vergehn. –
Zu wollen diesen Kreuzestod,
Zu wollen diese Seelenqual,
Zu wollen diese Fleischesnot:
Erst das stellt dich zur Königswahl.
Henrik Ibsen
Ich verachte die Strenge und halte sie nicht für unbedingt nötig. Waren die Römer streng? Verbannten sie nicht Cicero, weil er die Hinrichtung des Lentulus veranlaßt hatte, der doch des Verrats schuldig erkannt worden war? Und begnadigte der Senat nicht die Mitschuldigen des Catilina?
So herrschte die mächtigste Nation der Welt. Und wir, ein kleines, grausames Völkchen, glauben immer verurteilen und strafen zu müssen.
Luc de Clapiers Vauvenargues
Die Tragik des Gedankens, Meinung zu werden, erlebt sich am schmerzlichsten in den Problemen des erotischen Lebens. Das geistige Erlebnis läßt hier Reue zurück, wenn es jene ermuntert, die bestenfalls Recht haben können. Und so mag es gesagt sein: Jedes Frauenzimmer, das vom Weg des Geschlechts in den männlichen Beruf abirrt, ist im Weiblichen echter, im Männlichen kultivierter als die Horde von Schwächlingen, die es im aufgeschnappten Tonfall neuer Erkenntnisse begrinsen und die darin nur...
Karl Kraus
Der Arzt ist mehr und mehr in gesunden, als in kranken Tagen notwendig, man erkennt, daß er nicht allein der Mitarbeiter der Geistlichen, sondern auch des sozialen Reformator, des Nationalökonomen und des Staatsmannes sein sollte; und das Hauptziel seiner Wissenschaft müßte sein, den Krankheiten vorzubeugen, statt sie heilen zu müssen.
Charles Kingsley
Es ist keinesfalls ausgemacht, daß der Frauenkörper schöner ist als der Männerkörper. Sie lassen meist beide zu wünschen. Nur ist die Frau insofern im Vorteil, als sie sich für den Körper des Mannes wenig oder gar nicht interessiert, hier also kaum etwas vermißt, während der Mann vom Körper der Frau eine wesentliche Anregung zu empfangen wünscht. Die konventionelle Erziehung des jungen Mädchens, die den nackten Körper des Menschen als Lehrgegenstand ausschließt, hat also doch ein Gutes. Sie...
Carl Hagemann
Die Not, in der wir bis heute leben, ist die Gefährdung des Friedens. Zur Zeit haben wir die Wahl zwischen zwei Risiken. Das eine besteht in der Fortsetzung des unsinnigen Wettrüstens in Atomwaffen und der damit gegebenen Gefahr des Atomkrieges, das andere im Verzicht auf Atomwaffen und in dem Hoffen, daß Amerika, die Sowjetunion und die mit ihnen in Verbindung stehenden Völker es fertigbringen werden, in Verträglichkeit und Frieden nebeneinander zu leben. Das erste Risiko enthält keine...
Albert Schweitzer
Frühlingswünsche
Im Frühling, wenn sich Baum und Strauch
Hat bräutlich angezogen,
Da kommen mir die Wünsche auch
Gleich Lerchen angeflogen.
Ich möchte sein ein stolzer Baum,
Hoch in den Himmel ragen,
Ich möcht' des Waldes grünen Raum
Als flinkes Reh durchjagen.
Ein starker Adler möcht' ich sein,
Aufwärts zur Sonne streben,
Ich möcht' der Blumen bunte Reih'n
Als Schmetterling durchschweben.
Ich möcht' als Sturm durch Meere hin
Wild tanzen meinen Reigen –
Doch – nein – ich bliebe, wer ich...
Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Mitten in der Welt stehen und nicht mit ihr gehen - das nenne ich Knochen und Rückgrat haben. Unser Unglück ist es, daß es bei uns so wenig Männer gibt. Wir brauchen neue Männer! Lakaien des Staates wie der Parteien, Schusterseelen und Weiberseelen gibt es genug - aber Männer, Männer, Männer fehlen.
Julius Langbehn
Liebe und Tugend
Wenn einem Mädchen, das uns liebt,
Die Mutter strenge Lehren gibt
Von Tugend, Keuschheit und von Pflicht,
Und unser Mädchen folgt ihr nicht
Und fliegt mit neuverstärktem Triebe
Zu unsern heißen Küssen hin,
Da hat daran der Eigensinn
So vielen Anteil als die Liebe.
Doch wenn die Mutter es erreicht,
Daß sie das gute Herz erweicht,
Voll Stolz auf ihre Lehren sieht,
Daß uns das Mädchen spröde flieht,
So kennt sie nicht das Herz der Jugend;
Denn wenn das je ein Mädchen tut,
So hat...
Johann Wolfgang von Goethe
Es wäre verfehlt anzunehmen, daß diese offene Bevorzugung des Männlichen schlechtweg ohne neurotisierende Wirkung auf den Mann bleiben könnte. Der Kampf um die Männlichkeit kennzeichnet nicht nur die männliche protestierende Frau, sondern auch den Mann. Er hat eine Legende um die Männlichkeit gewoben, nun glaubt er an sie, nun vergleicht er sich mit ihr und leidet unter dem Gefühl der Differenz.
Manès Sperber
Auf einem Hügel, weithin sichtbar, die große Stadt mit ihrem geschäftigen Treiben überragend, hängt Jesus am Kreuz erhöht. Das will heißen: Jesus hängt da sichtbar vor aller Welt. Ob die Menschen wollen oder nicht, sie müssen ihn sehen. Ob sie wollen oder nicht, sie müssen sich Gedanken machen über das, was dort auf Golgatha vorgeht. Sie müssen es sehen, daß ein solches Beispiel unendlich liebevoller Hingabe in dieser kalten Welt existiert - ob das sie nun gleichgültig läßt, ob sie darüber...
Albert Schweitzer
Wenige Motive, energisches Handeln und gutes Gewissen machen das aus, was man Charakterstärke nennt. Dem Charakterstarken fehlt die Kenntnis der vielen Möglichkeiten und Richtungen des Handelns; sein Intellekt ist unfrei, gebunden, weil er ihm in einem gegebenen Falle vielleicht nur zwei Möglichkeiten zeigt; Zwischen diesen muß er jetzt, gemäß seiner ganzen Natur, mit Notwendigkeit wählen, und er tut dies leicht und schnell, weil er nicht zwischen fünfzig Möglichkeiten zu wählen hat. Die...
Friedrich Wilhelm Nietzsche