Lange Zitate (Seite 21)
Warum sind deine Augen denn so naß?
Warum sind deine Augen denn so naß?
Ich habe der Liebsten ins Auge geschaut,
So lange bis mir die meinen sind übergegangen,
Warum sind deine Wangen denn so blaß, so blaß?
Es sind die Rosen, die ich gebaut,
Vor Sehnsucht hinüber gewandelt auf ihre Wangen.
Friedrich Rückert
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
Friedrich Rückert
Lied
Bin ich einst tot, mein Liebster,
sing keine Trauermessen;
pflanz mir zu Häupten Rosen nicht
noch schattige Zypressen:
Laß grünes Gras mich decken,
das Tau und Regen näßt;
und wenn ihr wollt, gedenket,
und wenn ihr wollt, vergeßt.
Ich sehe nicht die Schatten,
spür nicht des Regens Fall;
hör nicht den schwermutsatten
Gesang der Nachtigall;
und träumend lang im Dämmer,
der nimmer steigt noch fällt,
wer weiß, ob ich gedenke,
ob ich vergeß der Welt.
Christina Georgina Rossetti
Jenem Stück Bindfaden
Bindfaden, an den ich denke,
Kurz warst du, und lang ist's her.
Ohne dich wäre das so schwer
Und so hoffnungslos gewesen.
Auf der Straße von mir aufgelesen,
Halfst du mir,
Mir und meiner Frau. – Wir danken dir,
Ich und meine Frau.
Bindfaden, du dünne Kleinigkeit
Wurdest mir zum Tau. –
Damals war Hungerszeit;
Und ich hätte ohne dich in jener Nacht
Den Kartoffelsack nicht heimgebracht.
Joachim Ringelnatz
Die neuen Fernen
In der Stratosphäre,
Links vom Eingang, führt ein Gang
(Wenn er nicht verschüttet wäre)
Sieben Kilometer lang
Bis ins Ungefähre.
Dort erkennt man weit und breit
Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit.
Wenn man da die Augen schließt
Und sich langsam selbst erschießt,
Dann erinnert man sich gern
An den deutschen Abendstern.
Joachim Ringelnatz
Ehebrief
Nun zeigt ein Brief, daß ich zu lange
Nicht sonderlich zu dir gewesen bin.
Ich nahm das Gute als Gewohnheit hin.
Und ich vergaß, was ich verlange.
Verzeih mir. - Ich weiß, daß fromme
Gedanken rauh gebettet werden müssen.
Ich danke jetzt. - Wenn ich nach Hause komme,
Will ich dich so wie vor zehn Jahren küssen.
Joachim Ringelnatz
Weil meine beiden Beine
Erfolglos müde sind,
Und weil ich gerade einsam bin,
Wie ein hausierendes Streichholzkind,
Setz ich mich in die Anlagen hin
Und weine.
Nun hab ich lange geweint.
Es wird schon Nacht; und mir scheint,
Der liebe Gott sei beschäftigt.
Und das Leben ist – alles, was es nur gibt:
Wahn, Krautsalat, Kampf oder Seife.
Ich erhebe mich leidlich gekräftigt.
Ich weiß eine Zeitungsfrau, die mich liebt.
Und ich pfeife.
Ein querendes Auto tutet.
Nicht Gold noch Stein waren echt
An...
Joachim Ringelnatz
Es trafen sich von ungefähr
Es trafen sich von ungefähr
Ein Wolf, ein Mensch, sowie ein Bär,
Und weil sie lange nichts gegessen,
So haben sie sich aufgefressen.
Der Wolf den Menschen, der den Bär,
Der Bär den Wolf. – Es schmeckte sehr
Und blieb nichts übrig, als ein Tuch,
Drei Haare und ein Wörterbuch.
Das war der Nachlaß dieser drei.
Der eine Mensch, der hieß Karl May.
Joachim Ringelnatz
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Ploetzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
'Wo ist das Meer?'
Joachim Ringelnatz
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich...
Joachim Ringelnatz
Die Schnupftabaksdose
Es war eine Schnupftabaksdose,
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war er natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen.
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählt ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.
Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
»Was geht mit Friedrich der Große an!«
Joachim Ringelnatz
Gnädige Frau, bitte trösten Sie mich
Über mein inneres Grau.
Das ist kein Scharwenz um ein Liebedich. –
Gnädige Frau, seien Sie gnädige Frau.
Mein Herz ward arm, meine Nacht ist schwer,
Und ich kann den Weg nicht mehr finden. –
Was ich erbitte, bemüht Sie nicht mehr
Als wenn Sie ein Sträußchen binden.
Es kann ein Streicheln von euch, ein Hauch
Tausend drohende Klingen verbiegen,
Gnädige Frau,
Euer Himmel ist blau!
Ich friere. Es ist so lange kein Rauch
Aus meinem Schornstein gestiegen.
Joachim Ringelnatz
Wie der Abendwind
Wie der Abendwind durch geschulterte Sensen der Schnitter,
geht der Engel lind durch die schuldlose Schneide der Leiden.
Hält sich stundenlang zur Seite dem finsteren Reiter,
hat denselben Gang wie die namenlosen Gefühle.
Steht als Turm am Meer, zu dauern unendlich gesonnen;
was du fühlst, ist er, im Innern der Härte geschmeidig,
daß im Notgestein die gedrängte Druse der Tränen,
lange wasserrein, sich entschlösse zu Amethysten.
Rainer Maria Rilke
Letzte Verse
Komm du, du letzter, den ich anerkenne,
heilloser Schmerz im leiblichen Geweb:
wie ich im Geiste brannte, sieh, ich brenne
in dir; das Holz hat lange widerstrebt,
der Flamme, die du loderst, zuzustimmen,
nun aber nähr ich dich und brenn in dir.
Mein hiesig Mildsein wird in deinem Grimmen
ein Grimm der Hölle nicht von hier.
Ganz rein, ganz planlos frei von Zukunft stieg
ich auf des Leidens wirren Scheiterhaufen,
so sicher nirgend Künftiges zu kaufen
um dieses Herz, darin der...
Rainer Maria Rilke