Kleine Zitate (Seite 29)
Kindergebet
Lieber Gott und Engelein,
Laßt mich gut und fromm sein
Und laßt mir mein Hemdlein
Recht bald werden viel zu klein.
Laßt mich immer weiter gehn,
Viele gute Menschen sehn,
Wie sie aus den Augen sehn,
Laßt sogleich mich sie verstehn.
Und mit ihnen fort und fort
Freuen mich an gutem Ort,
Und zur Zeit der Einsamkeit
Gibt, daß Sternenglanz mich freut.
Hugo von Hofmannsthal
Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf,
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,
Aus deren Krone den blassgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die grosse Nacht.
Nicht anders tauchen unsre Träume auf.
Sind da und leben, wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder gross im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.
Das Innerste ist offen ihrem Weben,
Wie Geisterhände im versperrten Raum
Sind sie in uns und haben immer...
Hugo von Hofmannsthal
Vorfrühling
Sieh, die Kastanien – noch nicht entfalten
Sie ihre Knospen, harzig gebräunt.
Den weißen Schneehut hat aufbehalten
Der Monte Baldo, mein alter Freund.
Der schöne Frühling kommt zögernd heuer;
So warm der Mittag, die Nacht ist rauh.
Auch im Kamin ist ein kleines Feuer
Noch sehr willkommen der lieben Frau.
Jungfräulich herbe sind noch die Lüfte,
Noch hat kein Vogel sein Nest gebaut,
Doch von der Halde wehn Veilchendüfte,
Süß wie der Atem der jungen Braut.
Wer weiß, wie bald uns der...
Paul von Heyse
Durch die Ferne, durch die Nacht
Hab Erbarmen! hab Erbarmen,
Um mich selbst bin ich gebracht,
Wenn du winkest mit den Armen
Durch die Ferne, durch die Nacht.
Lösch, o lösch die kleine Kerze,
Die mir dieses Nackens Pracht
Nur enthüllt zu meinem Schmerze
Durch die Ferne, durch die Nacht!
Deine Stimme laß ertönen,
Denn sie dringt heran mit Macht,
Als umarmte mich dein Sehnen
Durch die Ferne, durch die Nacht!
Paul von Heyse
Im kurzen Abend
Im kurzen Abend. Voll Wind ist die Stunde,
Und die Röte so tief und so winterlich klein.
Unsere Hand, die sich zagend gefunden,
Bald wird sie frieren und einsam sein.
Und die Sterne sich hoch in verblassenden Weiten
Wenige erst, auseinander gerückt.
Unsere Pfade sind dunkel, und Weiden breiten
Ihre Schatten darauf, in Trauer gebückt.
Schilf rauschet uns. Und die Irrwische scheinen,
Die wir ein dunkeles Schicksal erlost.
Behüte dein Herz, dann wird es nicht weinen
Unter dem...
Georg Heym
Müde bin ich, geh' zur Ruh',
Schließe beide Äuglein zu.
Vater laß die Augen dein
Über meinem Bette sein.
Hab ich Unrecht heut getan!
Sieh' es lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad' und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.
Alle, die mir sind verwandt,
Gott laß ruhn in deiner Hand.
Alle Menschen groß und klein,
Sollen dir befohlen sein.
Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu,
Laß den Mond am Himmel steh'n
Und die stille Welt beseh'n.
Louise Hensel
Sei stark!
Es sprach mein Herz,
Es sang mein Herz:
Sei stark und fröhlich auf der Welt!
Was dir mißglückt,
Was dich bedrückt,
Wirf hinter dich aufs Totenfeld!
An Mute klein
Kann jeder sein,
Was ist denn da Besondres dran?
Das Leben ist
Voll Kampf und List –
Weh dem, der's nicht vertragen kann!
Ein armer Wicht,
Wer gleich verzicht
Und senkt sein Fähnlein in den Staub!
Du denk und dicht
Ins Morgenlicht
Und weißt du nicht wie's geht, so glaub!
Schwarzsehern traun,
Heißt Särge baun,
Sollst...
Karl Henckell
Ich wollte, meine Lieder
Das wären Blümelein:
Ich schickte sie zu riechen
Der Herzallerliebsten mein.
Ich wollte, meine Lieder
Das wären Küsse fein:
Ich schickt sie heimlich alle
Nach Liebchens Wängelein.
Ich wollte, meine Lieder
Das wären Erbsen klein:
Ich kocht eine Erbsensuppe,
Die sollte köstlich sein.
Heinrich Heine
Und der Gott sprach zum dem Teufel:
Ich der Herr kopier mich selber,
Nach der Sonne mach ich Sterne,
Nach den Ochsen mach ich Kälber,
Nach den Löwen mit den Tatzen
Mach ich kleine liebe Katzen,
Nach den Menschen mach ich Affen;
Aber du kannst gar nichts schaffen.
Ich hab mir zu Ruhm und Preis erschaffen
Die Menschen, Löwen, Ochsen, Sonne;
Doch Sterne, Kälber, Katzen, Affen,
Erschuf ich zu meiner eigenen Wonne.
Heinrich Heine
Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne
Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne
Die liebt' ich einst alle in Liebeswonne.
Ich lieb' sie nicht mehr, ich liebe alleine
Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
Sie selber, aller Liebe Bronne,
Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.
Heinrich Heine
Wandere
Wenn dich ein Weib verraten hat,
so liebe flink eine andre;
noch besser wär' es, du ließest die Stadt
schnüre den Ranzen und wandre.
Du findest bald einen blauen See,
umringt von Trauerweiden;
hier weinst du aus dein kleines Weh
und deine engen Leiden.
Wenn du den steilen Berg ersteigst,
wirst du beträchtlich ächzen;
doch wenn du den felsigen Gipfel erreichst,
hörst du die Adler krächzen.
Heinrich Heine