Kleine Zitate (Seite 21)
An das Baby
Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...
Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"
Aber du, mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann – was meinste?
Weinste.
Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.
Jeder stiert nur unverwandt
auf das eigne kleine Land.
Jeder...
Kurt Tucholsky
Abschiedsgesang
Wilde Rosen, duftig kleine,
hab ich grad für dich erstanden.
Hier, dein Seidenhemd, das feine,
soll dich göttergleich gewanden.
Sieh, ein Perlenbändelein
flecht ich dir ins Haar hinein.
Feine Ringe, zwei, drei, vier,
reich ich dir zur weitren Zier.
Rouge belebe deine Wangen,
Frieden mag dein Herz empfangen.
Puppenähnlich schaust du aus
für die ewiglange Reise.
Komm, nun singen wir von Strauss,
leise unsre Abschiedsweise!
Werner Tiltz
Radbot und Wolfram
Herr Radbot vor der Taufe
sprach: "Heil'ger Gottesmann,
wo weilt der größte Haufe,
der dieser Welt entrann?"
Und Wolfram drauf: "Im Himmel
ist noch für viele Raum,
doch drunten das Gewimmel
umfaßt der Hölle Raum."
Da rief der arge Heide:
"Dein Taufen acht ich klein;
denn ich will, wenn ich scheide,
beim größten Haufen sein."
Julius Karl Reinhold Sturm
O stille Nacht
Weihrauchduft
zieht durch die Zimmer –
die Rauhnacht weht vorbei ...
die Kerzen sind erloschen.
Bis auf die zwei,
die vor dem Fenster
unsren Toten hell den Weg
in unsre Nähe weisen,
und die sie wissen lassen,
daß sie noch ganz bei uns.
Gedanken reisen
in die Anderswelt;
der Mond ist groß und voll
und grüßt versonnen
den, der da Andacht hält.
O stille Nacht.
In deinen Armen
verliert sich unser ganzes Sein,
versinkt das Streben,
wird alles Erdenleben
bedeutungslos,
gering und klein.
Ingrid Streicher
Im Glücke geht ein wunderliches Walten!
Viel besser magst du's finden als behalten;
Es wanket, eh man irgend es besorgt.
Den es betrüben will, es gern bei Zeit bedenket,
Und nimmt bei Zeitren gern zurück, was es geschenket;
Den blendet's, der zu viel von ihm geborgt.
Es hat schwache Stütze
Das gläserne Glücke;
Spiegelt sich's den Augen und scheint wunders nütze:
Gerade dann bricht's leicht in kleine Stücke.
Gottfried von Straßburg
Land und Leute könnten voller Ruhe sein,
Wären nicht zwei kleine Wörter: mein und dein;
Die wirken manche Wunder auf der Erde.
Wie gehn sie rüttelnd, wie so wütend überall
Und treiben alle Welt herum wie einen Ball.
Ich denke ihres Krieges nie mehr Ende werde.
Böse Gierigkeit
Schlingt um alles sich hin seit Evas Zeit,
Verwirrt ein jedes Herz und jedes Reich.
Weder Herz noch Zungen
Meinen nichts noch lieben nichts, als Falsch und Änderungen.
Liebe und Rechtsspruch sind an Trug sich gleich.
Gottfried von Straßburg
Lied
Des Lebens Tag ist schwer und schwül;
Des Todes Odem leicht und kühl:
Er wehet freundlich uns hinab,
Wie welkes Laub ins stille Grab.
Es scheint der Mond, es fällt der Tau
Aufs Grab, wie auf die Blumenau;
Auch fällt der Freunde Thrän' hinein,
Erhellt von sanfter Hoffnung Schein.
Uns sammlet alle, klein und groß,
Die Muttererd' in ihren Schoß.
O sähn wir ihr ins Angesicht;
Wir scheuten ihren Busen nicht!
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg
Tänzerin
Mein Herz steht Dir als Ballsaal zur Verfügung,
Bietet Dir Wärme, Musik und Gesellschaft
Doch jedesmal, wenn ich glaubte ein kleines Fest,
im Kerzenschein meiner Gefühle für Dich veranstaltet zu haben,
weht morgends ein eiskalter Wind
durch zerbrochene Fenster und über zerkratztes Parkett
Wilhelm Stock
Wenn ich den Tag schon opfre doch
Rein nur Vergnügens Sachen,
So will ich wenigst' abends noch
Ein klein Plaisir mir machen.
Ich bitt' du mußt nun hier vor all'n
Auf jeden Scherz verzichten;
Am Tage nämlich tu ich mal'n,
Und abends tu ich dichten.
Ich dicht' auch emsig jeden Tag,
Nicht ohne ihn zu malen,
Ganz gleich, wenn es zuletzt auch mag
Gar manchem nicht gefallen.
Gehör' zur Zahl der Dutzenddichter
Und will auch für die Zeilen nichts,
Das Honorar in Weis' in schlichter,
Bereits bezahlt...
Carl Spitzweg
Das Fest ist jetzt zu Ende.
Unsere Spieler, wie ich euch sagte, waren Geister
Und sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft.
Wie dieses Scheines lockrer Bau
So werden die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball.
Ja, was nur Teil hat, untergehn,
Und, wie dieses leere Schaugepräng erblaßt,
Spurlos verschwinden.
Wir sind solcher Stoff wie der zum Träumen,
Unser kleines Leben umfaßt ein Schlaf,-
Ich bin gereizt, Herr
Habt Geduld mit mir. Mein alter Kopf...
William Shakespeare
Bei Goldhähnchens
Bei Goldhähnchens war ich jüngst zu Gast.
Sie wohnen im grünen Fichtenpalast,
in einem Nestchen klein,
sehr niedlich und sehr fein.
Was hat es gegeben? Schmetterlingei,
Mückensalat und Gnitzenbrei
und Käferbraten famos –
zwei Millimeter groß.
Dann sang uns Vater Goldhähnchen was,
so zierlich klang's wie gesponnenes Glas.
Dann wurden die Kinder besehn:
Sehr niedlich alle zehn!
Dann sagt ich: "Adieu" und "Danke sehr!"
Sie sprachen: "Bitte, wir hatten die Ehr,
und hat uns...
Heinrich Seidel
Weltlauf
Man denkt wohl hin und her.
Manches könnt' besser sein; –
Dies zu leicht – das zu schwer –
Groß oder klein.
Manchmal zu still die Welt,
manchmal zu toll –
Nichts geht wie's soll.
Durst und kein Tropfen Wein –
Käs' und kein Brod –
Zahnschmerz und Liebespein –
Überdruß – Noth!
Dieser wird wild darob,
Strampelt und schreit –
Wird wie ein Wüthrich grob –
Schafft sich nur Leid.
Jener, der winselt drum,
Jammer und acht
Weint viele Thränen drum,
Seufzt Tag und Nacht.
Und die Welt, wie sie...
Heinrich Seidel