Heute Zitate (Seite 37)
Leben
Schaumgekrönter Überschwang,
Roter Blütenrausch –
Melancholischer Gesang,
Welkes Blattgerausch.
Silberheller Jubelchor,
Jauchzen Berg zu Tal –
Stilles Schluchzen, schwarzer Flor,
Schütternder Choral.
Mir ein süßer Herzenswahn,
Dir ein bittrer Hohn –
Heute winkt ein Kanaan,
Morgen ist's entflohn ...
Karl Henckell
Das Lied des Steinklopfers
Ich bin kein Minister,
Ich bin kein König,
Ich bin kein Priester,
Ich bin kein Held;
Mir ist kein Orden,
Mir ist kein Titel
Verliehen worden
Und auch kein Geld.
Dich will ich kriegen,
Du harter Plocken,
Die Splitter fliegen,
Der Sand stäubt auf –
»Du armer Flegel!«,
Mein Vater brummte,
»Nimm meinen Schlägel!«
Und starb darauf.
Heut hab ich Armer
Noch nichts gegessen,
Der Allerbarmer
Hat nichts gesandt;
Von goldnem Weine
...
Karl Henckell
Sie haben heut Abend Gesellschaft,
Und das Haus ist lichterfüllt.
Dort oben am hellen Fenster
Bewegt sich ein Schattenbild.
Du schaust mich nicht, im Dunkeln
Steh ich hier unten allein;
Noch wen'ger kannst du schauen
In mein dunkles Herz hinein.
Mein dunkles Herze liebt dich,
Es liebt dich und es bricht,
Und bricht und zuckt und verblutet,
Aber du siehst es nicht.
Heinrich Heine
Plaudertäschchen
Und sag' mal, liebe Liese,
Das ein mir bloß,
Der Storch auf der Wiese,
Mit dem ist was los!
Er klappert und klappert,
Daß weithin es dringt,
Ob er mir am Ende
Ein Brüderle bringt?
Und denk' mal, liebe Liese,
Ich hab' was gesehn,
Mein alter Wagen
Geht wieder zu drehn.
Der Vater hat Räder,
Ganz neue gemacht
Und ihn heut zur Mutter
Ins Stüble gebracht!
Und glaub' man, liebe Liese,
Das ist sicher wahr,
Erst kommen die Küken
Zu uns jedes Jahr,
Und dann erst die Kinder,
Wenn's...
E. von Hauff
Und kommst du nicht am Tage
Und kommst du nicht am Tage,
So komm im Traum zu mir;
Gewiß, gewiß ich sage
Dir tausend Dank dafür.
Komm immer so wie heute,
Da ich entschlummert kaum,
Wie holdes Brautgeläute
Erklang mein ganzer Traum.
Wohl sind noch meine Lider,
Wenn ich erwache, feucht –
Doch komme immer wieder,
Vor Glück weint' ich vielleicht.
Ich fleh' es, wie mit Kosen
Der Nachtigall Gebet
Vom jungen Frühling Rosen
In kalter Nacht erfleht.
O komm mit aller Plage,
Die du mir schon...
Moritz Hartmann
Wir hatten's einst so gut verstanden,
zu küssen uns zu rechter Stund,
eh wir es selber ganz empfanden,
gefunden hatte Mund den Mund.
Ein einiger Gedanke schwebte,
war weder mir noch dir bewusst,
und plötzlich Lipp an Lippe bebte
und plötzlich bebte Brust an Brust.
Dann haben wir's vergessen müssen,
verleugnet ward die Kinderzeit,
wir trugen, statt uns froh zu küssen,
ehrbar und dumm das Heuchlerkleid.
Doch als ich heut nach langen Tagen,
dich still Geliebte wiedersah –
wir hatten's gar zu...
Otto Erich Hartleben
Die Tränen
Seid ihr immer da, ihr Tränen,
treu der Freude, treu dem Schmerz.
Heut gelockt von Liebestönen,
Morgen schmelzend Hasses Erz?
Oder muß nur ich so weinen,
weil mein Herz so töricht ist,
daß es um den einzig Einen
Alles Glück der Welt vergißt?
Tränen, die ins Meer versinken,
Also spricht der Sage Mund,
Werden einst als Perlen blinken
Auf dem dunklen Wellengrund.
Gram wird einst sich mild verklären
Über'm finstern Tal der Zeit,
Und so fließt denn meine Zähren,
Fließt...
Ida Gräfin von Hahn-Hahn
Gottlos sind wir alle Zeit
Hier ist meine Lust an meinem Leben,
habe es satt, nur eine Kopie zu sein.
Will mich dem Sinnestaumel ergeben
und endlich mich von Qual befrei'n.
Gottlos sind wir alle Zeit,
wenn wir uns nicht befrei'n.
Will der Feigheit heut' entrinnen,
und nicht mit ihr untergeh'n.
Werde diesen Kampf gewinnen
und die Lebenszeit besteh'n.
Gottlos sind wir alle Zeit,
wenn wir uns nicht befrei'n.
Habe Lust auf das, was kommen mag,
denn für den Tod ist's noch zu früh,
will...
Gerd Groß
Die wahre Liebe
Auf einer alten Mauer saßen
Zwei junge treue Turteltauben,
Die, voll von innerlicher Liebe,
Die Augen auf einander wandten,
Und dann und wann die Flügel zuckten.
Ein Sperling auf dem nächsten Dache
Voll buhlerischer Brunst und Schalkheit,
Hieß dieses Paars verliebte Ruhe,
Frost, Schläfrigkeit und Unvermögen.
Da sprach der Täuber, doch mit Sanftmut:
Sprich nicht so schlimm von unsrer Liebe.
Horch! deine junge Gattin seufzet.
Sie heißt dich einen Ungetreuen.
Sie, die du gestern...
Johann Nikolaus Götz
Die Liebende abermals
Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen!
Denn eigentlich hab ich dir nichts zu sagen;
Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, soll, was ich sende,
Dein ungeteiltes Herz hinübertragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen,
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir...
Johann Wolfgang von Goethe
Und wer franzet oder britet,
Italienert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre,
Was die Eigenliebe heischet.
Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler noch des einen,
Wenn es nicht am Tage fördert,
Wo man selbst was möchte scheinen.
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.
...
Johann Wolfgang von Goethe