Geist Zitate (Seite 34)
Zum Neujahr
Mit einem Taschenkalender
An tausend Wünsche, federleicht,
Wird sich kein Gott noch Engel kehren,
Ja, wenn es so viel Flüche wären,
Dem Teufel wären sie zu seicht.
Doch wenn ein Freund in Lieb und Treu
Dem andern den Kalender segnet,
So steht ein guter Geist dabei.
Du denkst an mich, was Liebes dir begegnet,
Ob dir's auch ohne das beschieden sei.
Eduard Mörike
Kannst dich nicht versenken?
Läßt dich Welt nicht leer?
Kannst dich nicht entlenken
All der Dinge Meer?
Ist in Dem zu ruhen,
Draus dein Wesen sprang,
Deinen Wanderschuhen
Gar kein lieber Gang? –
Wenn der Tag beschlossen,
Sei, mein Geist, versenkt,
Sei, mein Herz, ergossen
In den, der dich denkt.
Christian Morgenstern
Zu allen, ja zu allen möcht ich kommen,
tief übers Einzelmenschliche hinaus.
Als Geist nur aus der Ferne kann man frommen,
ein Mensch ist nur ein Mensch bei sich zu Haus.
Nur in der Ferne wird er wirklich strahlen,
und aus der Nähe wird sein Licht bald blind,
da müssen alle wir dafür bezahlen,
daß wir nicht Geister nur, auch Körper sind.
Christian Morgenstern
Licht ist Liebe. Sonnen-Weben,
Liebes-Strahlung einer Welt
schöpferischer Wesenheiten –
die durch unerhörte Zeiten
uns an ihrem Herzen hält,
und die uns zuletzt gegeben
ihren höchsten Geist in eines
Menschen Hülle während dreier
Jahre: da Er kam in Seines
Vaters Erbteil – nun der Erde
innerlichstes Himmelsfeuer:
daß auch sie einst Sonne werde.
Christian Morgenstern
Durch manchen Herbst
Durch manchen Herbst des Leidens
mußt du, Herz,
eh dich die letzte goldne Sichel mäht.
Schon späht
ihr blankes Erz
nach deinem dunklen Blut.
Wie bald, so ruht,
verströmend Gold,
es, Abendröten gleich
in jenem Reich
des Ewigen Abends,
welcher Friede heißt!
O süßer Geist
der Nächte,
sei mir hold!
Christian Morgenstern
Die Brille
Korf liest gerne schnell und viel;
Darum widert ihn das Spiel
All des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.
Meistens ists in sechs bis acht
Wörtern völlig abgemacht,
Und in ebensoviel Sätzen
Läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Es erfindet drum sein Geist
Etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energien
Ihm den Text zusammenziehen!
Beispielsweise dies Gedicht
Läse, so bebrillt, man nicht!
Dreiundreißig seinesgleichen
Gäben erst - ein - Fragezeichen.
Christian Morgenstern
Die Mitternachtsmaus
Wenn's mitternächtigt und nicht Mond
noch Stern das Himmelshaus bewohnt,
läuft zwölfmal durch das Himmelshaus
die Mitternachtsmaus.
Sie pfeift auf ihrem kleinen Maul, --
lm Traume brüllt der Höllengaul . . .
Doch ruhig läuft ihr Pensum aus
die Mitternachtsmaus.
Ihr Herr, der große weiße Geist,
ist nämlich solche Nacht verreist.
Wohl ihm! Es hütet ihm sein Haus
die Mitternachtsmaus.
Christian Morgenstern
Die Zeitungen haß' ich allermeist:
Sie schwächen, sie verfaden den Geist.
Es ist, als ob man täglich speise
gemischten Salat "auf polnische Weise"
oder - was noch schlimmer als dies –
man hörte täglich Potpourris.
Der einz'ge Trost, daß wir nicht sehn,
wie diese Hochgenüsse entstehn.
Christian Morgenstern
Nun bin ich an des Lebens Ziel gelangt,
durch Sturmeswogen und auf schwankem Kahn
zum Hafen: was ich falsch, was fromm getan:
von allem wird hier Rechenschaft verlangt.
Wie sehr mir nun vor der Erkenntnis bangt,
daß mir die Kunst Idol und einziger Wahn,
daß ich aus Irrtum ihr nur untertan
und dem, was falschem Wunsch der Mensch verdankt.
Verliebtes Sehnen eitler Lebenslust,
was hilfst du nun dem Nachbarn zweier Tode,
jener dem Leib, dieser dem Geist zum Harme?
Nich Meißeln und nicht Malen...
Michelangelo
Der Lieblingsbaum
Den ich pflanzte, junger Baum
Dessen Wuchs mich freute,
Zähl ich deine Lenze, kaum
Sind es zwanzig heute.
Oft im Geist ergötzt es mich
Über mir im Blauen
Schlankes Astgebilde, dich
Mächtig auszubauen.
Lichtdurchwirkten Schatten nur
Legst du auf die Matten,
Eh du dunkel deckst die Flur,
Bin ich selbst ein Schatten.
Aber haschen soll mich nicht
Styrisches Gesinde,
Weichen werd ich aus dem Licht
Unter deine Rinde.
Frische Säfte rieseln laut,
Rieseln durch die Stille.
Um mich,...
Conrad Ferdinand Meyer