Alte Zitate (Seite 29)
Abschiedsstunde
Ich stellte gern die alte Uhr zurück!
Die Zeiger machen hastend ihre Runde –
Wir aber haben nur die eine Stunde,
Dann mußt du gehn, und mir dir geht das Glück!
Wie leer wirds dann in meinem Stübchen sein!
Der Frühlingssturm wird an die Fenster klopfen,
Die Winternebel von den Scheiben tropfen –
Und immer bin ich einsam und allein!
So sieh mich an, so liebevoll und still!
Kein Abschiedsschmerz darf mir das Bild verwischen,
Nach Jahren noch soll's mir das Herz erfrischen –
Ich...
Anna Ritter
Sehnsucht
Sturm, wer gab dir den Atem?
Welle, wer gab dir Flügel?
Und du Vöglein droben im schimmernden Blau,
Wer rief dich über die Hügel?
Ich weiß, ach ich weiß …
Es geht eine alte Melodie,
Die war mit der Menschheit geboren,
Jahrtausende starben, sie hat sich nie
Im Lärmen des Tages verloren:
Sehnsucht, Sehnsucht,
Treibende Macht!
Gott, der in Fesseln
Der Knechtschaft lacht,
Zagenden heimlich die Schwingen löst,
Trunk’ne hinab in den Abgrund stößt,
Sonne des Tages,
Seele der Nacht...
Anna Ritter
Unglücksrabe
So oft ich der alten Nachbarin
In ihrem Shawltuch begegnet bin,
Wenn die Sonne grade recht hell gestrahlt,
Als bekäm sie's heute extra bezahlt –
Dann zeigte die alte Nachbarin
Mit der welken Hand nach dem Himmel hin
Und kniff den Mund so besonders ein,
Als biß sie in etwas Saures hinein,
Und meinte: "Wenn's nur so bleibt!"
So ist's mir im Leben mit Vielen ergangen,
Die wußten mit Freude nichts anzufangen
Und riefen in jeden Sonnenschein
Ihr krächzendes "Wenn's nur so bleibt"...
Anna Ritter
Nächtlicher Heimweg
Es wippt eine Lampe durch die Nacht.
Trapp klapp –
Ich will mir denken,
Daß meine Mutter jetzt noch wacht
Und will den Hut für sie schwenken.
Wir sind nicht, wie man seien soll,
Wir haben einander nur gern,
Doch meine Mutter ist alt und ist fern.
Und mir ist das Herz heut so voll.
Da kommt eine Frau mir engegen,
Ich will was Gutes überlegen,
Weil sie so arm und eckig aussieht.
Aber die Frau entflieht.
Ich bin ihr zu verwegen.
Nun wird es still und wunderbar.
Kein Laut auf...
Joachim Ringelnatz
An meinen Lehrer
Ich war nicht einer deiner guten Jungen.
An meinem Jugendtrotz ist mancher Rat
Und manches wohlgedachte Wort zersprungen.
Nun sieht der Mann, was einst der Knabe tat.
Doch hast du, alter Meister, nicht vergebens
An meinem Bau geformt und dich gemüht.
Du hast die besten Werte meines Lebens
Mit heißen Worten mir ins Herz geglüht.
Verzeih, wenn ich das Alte nicht bereue.
Ich will mich heut wie einst vor dir nicht bücken.
Doch möcht ich dir für deine Lehrertreue
nur einmal...
Joachim Ringelnatz
So kann ein Wiedersehen sein ...
So kann ein Wiedersehen sein,
Daß Augenpaare tief einander messen.
»Lang, lang ist's her. Und doch
Hast du micht nicht –
Vergessen.«
Froh war es einst. – Hat wenig sich bewährt. –
Viel starb vom Wenig. – Alte Bäume rauschen
Und neigen sich vornander ernst und lauschen
Wie Kinder einem Märchen, aber abgeklärt.
Denn was geschah, das muß wohl so geschehn sein.
Nun ist's, als rückten wir, ohn' Worte, ohne Tat,
Enger zusammen, wie zu einem Skat,
Aber erlebt,...
Joachim Ringelnatz
Zwischen zweier Jahre Sarg und Windel
Wiederholt sich immer solch historischer Schwindel,
Der zumal Kalenderfabrikanten
Und viele alte antitot gesinnte Tanten
Hochbeglückt.
Und auch mich.
Prosit Neujahr, Brüder!
Ich bin heute lüder-
lich.
Ja, ich brülle und betrinke mich.
Mich schlägt keine Uhr.
Und ich wünsche jedem Menschen nur:
Daß von dem, was er mit losem Munde
Heute erfleht,
möglichst wenig in Erfüllung geht.
Weil die Welt mir doch zu jeder Stunde
So am richtigsten erscheint, wie sie...
Joachim Ringelnatz
Nachtschwärmen
Die alte Pappel schauert sich neigend,
Als habe das Leben sie müde gemacht.
Ich und mein Lieb – hier ruhen wir schweigend –
Und vor uns wallt die drückende Nacht.
Bis sich zwei schöne Gedanken begegnen, –
Dann löst sich der bleierne Wolkenhang.
Goldene, sprühende Funken regnen
Und füllen die Welt mit lustigem Klang.
Ein trüber Nebel ist uns zerronnen.
Ich lege meine in deine Hand.
Mir ist, als hätt ich dich neu gewonnen. – –
Und vor uns schimmert ein goldenes Land.
Joachim Ringelnatz
Der Alchimist
Seltsam lächelnd schob der Laborant
den Kolben fort, der halbberuhigt rauchte.
Er wußte jetzt, was er noch brauchte,
damit der sehr erlauchte Gegenstand
da drin entstände. Zeiten brauchte er,
Jahrtausende für sich und diese Birne,
in der es brodelte; im Hirn Gestirne
und im Bewußtsein mindestens das Meer.
Das Ungeheuere, das er gewollt,
er ließ es los in dieser Nacht. Es kehrte
zurück zu Gott und in sein altes Maß;
Er aber, lallend wie ein Trunkenbold,
lag über dem Geheimfach...
Rainer Maria Rilke
Frühling
Die Vögel jubeln – lichtgeweckt –,
die blauen Weiten füllt der Schall aus;
im Kaiserpark das alte Ballhaus
ist ganz mit Blüten überdeckt.
Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll
ins junge Gras mit großen Lettern.
Nur dorten unter welken Blättern
seufzt traurig noch ein Steinapoll.
Da naht ein Lüftchen, fegt im Tanz
hinweg das gelbe Blattgeranke
und legt um seine Stirn, die blanke,
den blauenden Syringenkranz.
Rainer Maria Rilke
Der König
Der König ist sechzehn Jahre alt.
Sechzehn Jahre und schon der Staat.
Er schaut, wie aus einem Hinterhalt,
Vorbei an den Greisen vom Rat
In den Saal hinein und irgendwohin
Und fühlt vielleicht nur dies:
An dem schmalen langen harten Kinn
Die kalte Kette vom Vlies.
Das Todesurteil vor ihm bleibt
Lang ohne Namenszug.
Und sie denken: Wie er sich quält.
Sie wüßten, kennten sie ihn genug,
Daß er nur langsam bis siebzig zählt,
Eh' er es unterschreibt.
Rainer Maria Rilke
Der Letzte
Ich habe kein Vaterhaus,
und habe auch keines verloren;
meine Mutter hat mich in die Welt hinaus
geboren.
Da steh ich nun in der Welt und geh
in die Welt immer tiefer hinein,
und habe mein Glück und habe mein Weh
und habe jedes allein.
Und bin doch manch eines Erbe.
Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht
auf sieben Schlössern im Wald,
und wurde seines Wappens müd
und war schon viel zu alt; –
und was sie mir ließen und was ich erwerbe
zum alten Besitze, ist heimatlos.
In...
Rainer Maria Rilke
In einem Boot
Das Leben ist ein großes Meer,
wir rudern drauf in einem Boot,
und kommt ein Sturmtief mal daher,
geraten wir in höchste Not.
Dann gilt das Wort Zusammenhalt,
für die Schwarzen, Gelben, Weißen,
es gilt sowohl für Jung und Alt,
für die Armen und die Reichen.
Wenn jeder nur sein Bestes gibt,
ist dies Ruderboot zu retten,
wenn jeder seinen Nächsten liebt,
schwinden Kriege, Not und Ketten.
So beenden wir die Qualen,
vergessen Neid, Hass und Feinde,
Konkurrenz und auch...
Horst Rehmann
Ein Schmetterling
Ein prächtig großer Schmetterling
mit bunt gefärbten Schwingen
und Fühlern grau, so grau wie Zink,
die auf und abwärts gingen.
Der Körper stark, graubraun bemalt,
als ob er zeigen müsste,
ich bin noch fit, jedoch schon alt,
hab trotzdem noch Gelüste.
Mit diesem Kurzszenario
erklärte mir der Falter
gekonnt, graziös und farbenfroh:
Du bist wie ich, ein – "Alter".
Horst Rehmann
Erholsamer Tag
Stahlblauer Himmel, rauschendes Meer,
alte Kiefern im glitzernden Sand,
außer uns zwei, die Bucht menschenleer,
braunweiße Muscheln zieren den Strand.
Wir gehen umschlungen spazieren,
genießen die herrliche Stille,
sehen Vögel am Meer stolzieren,
sind begeistert von der Idylle.
Oft bleiben wir regungslos stehen,
bestaunen die Vielfalt der Natur,
können uns nicht satt daran sehen,
in uns herrscht nur, Faszination pur.
Dann neigt sich der Tag seinem Ende,
die Sonne senkt sich...
Horst Rehmann