Zitate
An eine Nein-Sagerin
Noch leben wir, noch ist die große Nacht
Nicht über uns gekommen,
Noch, liebes Herz, ist's nicht vollbracht:
Der Augenblick – er wird vielleicht nicht wieder kommen.
O pflück die Rose, pflück die reife Frucht:
Das ist der Reife Loos.
Im Buch der Welt steht jede Tat gebucht,
Die frei und groß.
Im Buch des Lebens, glaub mir, liebes Weib,
Wird Bürgertugend nicht gebucht.
Hier gilt nur eins: Wag deinen Menschenleib!
Weit besser als ein Lob ist ein – "Verflucht!"
Ludwig Scharf
Einsamkeit
Verflogne Taube an dem Felsenstrand,
Ein Wirbelwind hat dich dem Schwarm entführt!
Und mich, wie's meinem Wagemuth gebührt,
Verschlug ein Sturm ans gleiche Inselland.
Wir zwei zur selben Einsamkeit verbannt,
Bestimmt, daß eins des andern Frohmuth schürt,
Daß eins das andere zum Glück verführt,
Um das uns trog der Winde Unverstand.
Verflogne Taube! Laß uns Freunde sein
Und uns're Herzen aneinander wärmen,
So lang uns günstig ist der Sterne Schein.
Laß ab, dich um Verlorenes zu...
Ludwig Scharf
Urfrage
Eine Phalanx ist vorübergeritten:
Das war eine Menschengeneration!
Da ist auch eine andere schon
Und wandelt in der ersten Tritten:
Was jene gelebt, was jene gelitten,
Auch ihr beschert, so Glück wie Frohn.
Und weiter wachsen die Generationen
Und rollen über der Erde Zonen –
Und eine σϕαιρα* rollt hinter der andern:
Was soll, was will dies ewige Wandern?
Wann soll es enden? Wo hört das auf?
Wann gehn die Gestirne der Hirnschal' auf,
Daß wir erkennen, wozu, wozu??
"Jenen Sternen zu!" –...
Ludwig Scharf
Menschenloos
Fürwahr, wir sind ein glückliches Geschlecht!
Denn wahrlich, wahrlich, deut' ich's recht,
Sind wir nicht mehr als die Tiere auch,
Die der Mensch gezähmt zu seinem Gebrauch:
Ich möcht mit dem Sturm durch die Erde jagen,
Eichen entwurzelnd, Meere zerwühlend,
Und zuletzt an zackigem Felsengeklüfte
Die nackte Gespensterstirn zerschlagen,
Daß es von Kluft zu Kluft
Widerhalle in Ewigkeit ...
Ludwig Scharf
Menschen der Ehe
O wären wir Tiere, wären wir Tiere,
Wir hätten uns längst zerfleischt und zerrissen
Und ich, der Stärkere, ich, das Männchen,
Ich hätte dich Weibchen zu Tode gebissen.
Und wären wir Götter, stolznackige Götter,
Wir lebten uns fern in elysischen Au'n:
Hinrollte auf leichter Wolke mein Wagen,
Du wandeltest still unter trostreichen Frau'n.
Doch wir sind Menschen, gefesselte Menschen
Und müssen uns tragen mit stummer Geduld,
Wir müssen uns tragen und müssen entsagen
Und unsere...
Ludwig Scharf
Idyll
Wenn wir um unsern rauhen Tisch,
Genossin, ich und du,
Des Abends traut zusammen sind,
Du häkelst, ich schau zu –
Du plauderst drein erinnerungsvoll
Von deinem ersten Schatz:
Ich lausche deiner Stimme nur,
Versteh nicht Wort noch Satz –
Und freue mich im Herzen drin,
Daß ich um dich geworben –
Was morgen kommt, was heute war,
Ist sanft in mir erstorben.
Ludwig Scharf
Abstammung
Wir sind nur Blüten an einem Baum:
Ein jeder träumt seinen Blütentraum
Und weiß nicht viel vom Andern;
Wir brechen hervor aus Zweiglein und Ast,
Wir fühlen der Blätter und Blättchen Getast
Und der Winde und Wolken Wandern.
Der Baum der Menschheit, der uns trägt,
Der Sturmwind Tod, der uns niederfegt,
Sind's, die unser Dasein umründen.
Wir stammen aus Erde und Himmelslicht,
Mehr wissen auch unsere Weisesten nicht:
Den Stamm konnte keiner ergründen.
Ludwig Scharf
Geisterflug
Kronos: Ruhe im Weltall!
Jehova: Alle Sonnen schlafen.
Astaroth: Ein schwüler Atemzug geht durch den Raum.
Athene: Wie lange noch, bis wir hinüber sind?
Jehova: Drei Ewigkeiten. –
Wodan: Seht ihr den Kohlenkloß?
Astaroth: Er züngelt in purpurroten Flammen.
Luzifer: Hat ausgeleuchtet!
Jehova: Dort sein Planetenchor!
Astaroth: Die sieben schwarzen Klumpen?
Wodan: Dort stand die Erde. –
Athene: Seht ihr die Flammenschlinge, die um die Sonne ringt?
Astaroth: Und dort in schräger Kurve...
Ludwig Scharf
Blut-Propheten
Wir träumen über die Erde hin,
Wir kennen nicht oben noch unten,
Wir horchen nur in die Erde hinein,
Wir verstehen nur ihre Wunden.
Und liegen wie träumend am Boden hin,
Dann sind wir selbst fast Erden,
Als wollte in dunkel-chaotischem Trieb
Sie bewusst den Lebendigsten werden.
Und wir fühlen den Durst nach Blut, nach Blut
Der ausgetrockneten Erde,
Daß einer verjüngten Lebensbrut
Ein saftiges Erdreich werde.
Wir träumen über die Erde hin:
Tut Buße, Buße in Zeiten!...
Ludwig Scharf