Zitate
Geliebte Stille
Alleine
durch den Tannwald gehn
und nur des Windes Rauschen
in den Wipfeln hörn,
den eignen Schritt
im Schnee;
am Morgen
nach den Blumen sehn
im taubenetzten Garten,
eh noch die Sonne steigt;
im Herbst
über die Felder wandern,
den Kragen hoch gestellt,
und Aug in Aug
dem Reh …
Geliebte Stille.
Wie vermiss ich dich,
wenn ich durchs Leben geh.
Ingrid Streicher
Das heiße Eisen
Auch meine Ahnen
waren Schmiede,
drum bin ich
auf der Eisenstraße
ganz daheim,
sie hämmerten
und glühten,
schufen Hufe,
sie lachten
voller Fleiß und Freud
ins Feuer
und
schmiedeten
die Räder,
bis sie rund.
Wenn mir das Leben heut
zu hart erscheint,
denk ich der Ahnen,
blas heftig in die Glut
und pack das Eisen an,
auch wenn es heiß.
Ingrid Streicher
Wenn es draußen kälter wird
Wenn es draußen
kälter wird
und das Dunkel
früh dein Haus erreicht,
brauchst du etwas,
das dir Licht schenkt,
das dein Herz erfreut
und wärmt:
Den Schimmer einer flackernden Kerze,
ein gutes Glas Wein,
ein tröstendes Wort
oder – ganz einfach –
ein Lächeln aus Kinderaugen.
Ingrid Streicher
Bäume im Frühling
Die jungen Bäume drängen ans Licht,
Zartgrüne Blätter und Zweige
büscheln ganz dicht.
Und Sonnenstrahlen
dringen durch dunklen Wald,
die hohen Tannen,
sonst ernst und alt,
sie lächeln.
Doch immer wieder
rührt's mich an,
wenn ich den Birnbaum
auf der Wiese drüben
sehen kann.
Über zerklüftetem,
ganz rauhem Stamm
die weiße Spitzenblütenhaube –
so zart durftig
wie ein Schleier,
wie ein erster
Mädchentraum.
Ingrid Streicher
Frühlingssehnsucht*
Wenn ich malen könnte:
wie zögernd sich
der blasse Schimmer
dieser Nachmittagssonne
durch den milchigen
Nebel tastet,
wie sich sein schwaches Licht
im Strom, durch Stürme
stark bewegt, in zartem
Rot zerspiegelt,
wie letzte Flocken –
Blüten gleich –
das Tal
herunter wirbeln
und wie mich das berührt:
wie ein gehauchter
Kuß von Frühling
auf eine kalte Wange.
Wenn ich nur malen könne!
(*an einem Vorfrühlingstag an der Donau)
Ingrid Streicher
Der Sommer geht
Ende August – und sie ist da,
die erste Herbstzeitlose,
die am Waldrand blüht;
die grünen Blätter werden langsam
rot und gelb und braun.
Kaum noch ein Schmetterling,
der sanft von einer
zu der andern Blume zieht,
kaum noch ein fröhlich Amsellied.
Die Welt wird wieder merkbar leiser,
wenn jetzt der Sommer geht,
ganz sachte geht.
Wenn Nebel kreisen
und wie ein Streicheln dieser Wind
über die Felder und das Haar uns weht.
Wenn nach und nach
der Sommer geht …
Ingrid Streicher
Herbstlicht
Der frühe erste Schnee
ist schwere Last wohl
für den Baum;
zu Eiskristall erstarrt
der leise Herzenstraum.
Die Kälte bricht ganz jäh
so manchen Ast ...;
und doch:
wenn durch die Zweige dann
der Schein der späten Sonne dringt
und tausend Glitzersterne
sanft zur Erde schweben,
ist es ein Herbstlicht
wie noch nie:
wenn wie im Märchen
goldne Blätter Spitzendecken weben
und durch das Weiß der Wiese
rote Blüten leuchten.
Ingrid Streicher