Zitate
Und wieder geht ein Jahr
Das Jahr ist müde,
geht nun schlafen.
Verbraucht und kraftlos,
still der Tag;
ein wenig traurig
auch die Stunden,
die man ganz leicht schon
zählen mag ...
Gedanken kreisen
um Sinn und Schöpfung,
um Tod und Leben,
schwankend, zag;
bis endlich dann
um Mitternacht
der tiefen Glocke
letzter Schlag:
Jäh alles,
was im Dunkel war,
erstrahlt in Freude, Zuversicht –
das neue Jahr
ist angebrochen!
Es liegt
verheißungsvoll
im Licht.
Ingrid Streicher
Geliebte Stille
Alleine
durch den Tannwald gehn
und nur des Windes Rauschen
in den Wipfeln hörn,
den eignen Schritt
im Schnee;
am Morgen
nach den Blumen sehn
im taubenetzten Garten,
eh noch die Sonne steigt;
im Herbst
über die Felder wandern,
den Kragen hoch gestellt,
und Aug in Aug
dem Reh …
Geliebte Stille.
Wie vermiss ich dich,
wenn ich durchs Leben geh.
Ingrid Streicher
Noch einmal
Ich möchte den Weg
noch einmal gehen,
der zwischen Felsen
nach oben führte
zu einem Gipfel aus Licht;
Ich möchte die Berge
noch einmal sehen,
die weiten Höhen,
die Sonne,
die durch die Wolken bricht;
ich möchte noch einmal
die Stille erleben,
die mir am Gipfel
so wohlgetan,
in ihrer Tiefe
mich nicht bewegen,
und Glück empfinden –
nur dann und wann!
Ingrid Streicher
Ybbsuferweg
Wir können wieder diesen Weg begehen,
der uns durch schaurig wilde Felsen führt,
wo uns gar mancher hohe Baum berührt,
vom Fluß herauf die leichten Winde wehen;
und immer Neues werden wir da sehen:
da ist die Höhle, die ich mir erkürt
zur liebsten, hier die Wand, von der man spürt,
daß Häuser oben sitzen wie Museen.
Wie herrlich kann den Schatten man genießen,
und schaun, wie Silberpunkte abwärts fließen
der alten Stadt entgegen wunderbar.
In unsre Seelen zieht ein selt’ner...
Ingrid Streicher
O stille Nacht
Weihrauchduft
zieht durch die Zimmer –
die Rauhnacht weht vorbei ...
die Kerzen sind erloschen.
Bis auf die zwei,
die vor dem Fenster
unsren Toten hell den Weg
in unsre Nähe weisen,
und die sie wissen lassen,
daß sie noch ganz bei uns.
Gedanken reisen
in die Anderswelt;
der Mond ist groß und voll
und grüßt versonnen
den, der da Andacht hält.
O stille Nacht.
In deinen Armen
verliert sich unser ganzes Sein,
versinkt das Streben,
wird alles Erdenleben
bedeutungslos,
gering und klein.
Ingrid Streicher