Zitate
Die Fratze des Aufsteigers aus dem Kleinbürgertum ruht meist in Sicherheitsverwahrung hinter der Fassade des charmanten, offenen, zuverlässigen, großzügigen Beckenbauer. Der bei der Feier seines 50. Geburtstags jedem Gast eine teure Uhr schenkt. Der sich auch nach Jahrzehnten im internationalen Sport-Jet-Set eine kindliche Neugier bewahrt hat und einen arabischen Potentaten unbefangen nach der Funktionsweise eines Harems befragt. Der frei heraus redet über die esoterische Bastelarbeit, die er...
DIE ZEIT
Anders als Boris Becker hat Beckenbauer nie die Intellektuellen fasziniert; ihm fehlt die Ambivalenz, der Wechsel zwischen Triumph und Absturz, Jungenhaftigkeit und Größenwahn, der selbstzerstörerische Ehrgeiz. Um keinen Job habe er sich gedrängt, aber er könne einfach nicht nein sagen, erzählen gute Freunde.
DIE ZEIT
Der einzig feste Grund unter Beckenbauers Autorität ist sein fußballerisches Können. Oder jedenfalls die verklärte Erinnerung daran. Das Aushängeschild des deutschen Fußballs spielte ausgesprochen undeutsch - lässig, elegant, verwegen. Daß er mit dem erhabenen Geschlurfe in knapp bemessenen Hosen heute nicht mal in der vierten Liga 20 Meter weit käme, tut seiner Fama keinen Abbruch. Er füllte nicht einfach die Position aus, auf die er gestellt wurde, sondern erfand für sich eine neue: die des...
DIE ZEIT
Der Heilige von Giesing: kein verbissener Ehrgeizling, bloß ein Glückskind. Ein Multimillionär jenseits der Neidgrenze. Beckenbauer erweckt den Eindruck, als habe er an diesem Image nie aktiv gearbeitet. Er schien immer wunschlos glücklich - und wurde zur perfekten Projektionsfläche für die biederen Wünsche eines Volkes, das immer wieder im Fußball sich selbst ideal verkörpert sehen möchte. Jeder bekommt den Kaiser, den er verdient, oder: Alle Macht dem Tölpel.
DIE ZEIT
Im Konglomerat der Macht ist Franz Beckenbauer die einzige schillernde Figur, der "human factor", ein Zwitter zwischen Pausenclown und Volkstribun. Mächtig, weil alle ihn brauchen, denn allein in seiner Nonchalance lebt die Illusion vom unschuldigen Sport weiter. Ohnmächtig, weil er nicht ist ohne die Ausputzer im Hintergrund.
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Vielleicht entschied sich diese deutsche Karriere am Nachmittag des 21. Juni 1986 in Monterrey, Mexiko. Der Spieler Servin verschießt den entscheidenden Strafstoß, Deutschland gewinnt das "WM-Vierelfinale gegen Mexiko im Elfmeterschießen und wird acht Tage später Vizeweltmeister. Hätte Servin getroffen und sein Team noch gewonnen, wäre die Blutgrätsche der deutschen Presse auch an Franz Beckenbauer nicht vorübergegangen. Das aus im Viertelfinale wäre das Ende des Teamchefs Beckenbauer...
DIE ZEIT
Warum ist allein Beckenbauer in diesen säkularen, von der Knute des Klatsches regierten Zeiten sakrosankt? Offen reden über ihn wollen die wenigsten. "Das ist vermintes Gelände", sagt einer, der Beckenbauer seit über 20 Jahren kennt. Viele hätten Angst, an des Kaisers Hof in Ungnade zu fallen.
DIE ZEIT
Peter Handke mag dem und den Deutschen das geflügelte Wort von der Angst des Tormanns beim Elfmeter geschenkt haben - Beckenbauer kann mehr. Ob "Schau'n mer mal" oder "Jo, is denn heut scho Weihnachten?", ob "Rumpelfußball" oder "vogelwilde Mannschaften", die auf einem Fußballplatz nichts verloren hätten - jeder Stuss ein Treffer.
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Beckenbauer ist der ideale Werbeträger für nahezu jedes Produkt, für Suppen und fürs Lesen, für gelben Strom, Mobiltelefone und Akkuschrauber ("Bohr'n mer mal!"). "Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Sicherheit" sehen seine vielen Geschäftspartner in ihm verkörpert, und dieses Image ist weder durch die Launenhaftigkeit der Diva noch durch die penetrante Allgegenwart ihrer Selbstzufriedenheit zu gefährden.
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Mit dem Gesichtserker von Bayern-Vorstopper Katsche Schwarzenbeck oder der Wampe vom kleinen, dicken Torjäger Gerd Müller hätte er diese Werbekarriere nie gemacht. Aber können dieser Dialekt, diese Zähne, diese Figur, diese randlose Brille lügen? Beckenbauer ist nicht nur telegen, bei ihm wird auf wundersame Weise aus der Sprachmüllkippe eine Fundgrube.
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Beckenbauers Wutausbrüche, zuletzt nach dem verlorenen Champions-League-Spiel in Lyon über die eigene Mannschaft, werden als Offenbarung des vermeintlich gesunden Menschenverstandes Wort für Wort nachgedruckt. Der Vater der Nation predigt der spätkapitalistischen Gesellschaft Moral und verlangt anständige Arbeit für anständiges Geld.
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Allzu viele sind bereit, die geringe Halbwertszeit eines kaiserlichen Gedankens als Folge übergroßer Höflichkeit zu entschuldigen. "Er will halt immer eine konkrete, keine diplomatische Anwort geben", sagt Jörg Wontorra, Beckenbauers Golf- und TV-Gesprächspartner. Außerdem könne er sich bei seinem schnellen Ansichtenwechsel ja auf prominente Vorbilder berufen. Hat nicht sogar Adenauer heute hü und morgen hott gesagt?
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Ist Franz Beckenbauer also auch als zweiter Mann im DFB in Wahrheit der mächtigste Mann im deutschen Fußball? Seine Kolumne, von BILD-Redakteuren geschrieben und ihm selbst korrigiert, nennt ein Kenner medialer Mechanismen eine "für alle brandgefährliche päpstliche Enzyklika". Dabei haben die Texte etwa so viel kritisches Potenzial wie ein Spielbericht von Heribert Faßbender. "Die Medien wollen Beckenbauer Macht zuschustern", vermutet Willi Lemke. "Er steht auf vielen 'pay rolls" - das will...
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Die Fähigkeit zur spielerischen Grenzüberschreitung verlieh dem Künstler im Land der Fußballmalocher Autorität auch als Trainer. Seine Mannschaften waren nicht erfolgreich, weil Beckenbauer ein genialer Taktiger oder fleißiger Analytiker war. Die Generation Klopper, von Augenthaler bis Kohler, lebte in der begründeten Furcht, daß noch der Rentner Beckenbauer sie auf der Grundfläche einer Telefonzelle ausspielen würde.
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