Staatsvisite
Heut hab ich eine alte Freundin besucht,
Mit der ich einst jung gewesen,
Wir haben des Schicksals Runen gebucht,
In vergilbten Blättern gelesen.
Dann sagten wir weiter – dies und das –
Von dem eigenen und fremden Willen,
Und ich sprach: "Ich sehe nicht ohne Glas!"
So griffen wir dann zu den Brillen!
Das Wiedersehn, glaub ich, das wir begehn
Und das wir soeben gefeiert,
Es ward nicht getrübt, weil schlechter wir sehn:
Nur durch verhaltene Tränen verschleiert!
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Welch eine andere wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewonnen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblieben wäre und sich anstatt des Lateinischen verbreitet hätte. Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art, durch Verba, besonders durch Infinitive und Partizipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, bepfählt...
Johann Wolfgang von Goethe
Das Dorf im Schnee
Still, wie unterm warmen Dach,
Liegt das Dorf im weißen Schnee;
In den Erlen schläft der Bach,
Unterm Eis der blanke Schnee.
Weiden steh'n im weißen Haar,
Spiegeln sich in starrer Flut;
Alles ruhig, kalt und klar
Wie der Tod der ewig ruht.
Weit, so weit das Auge sieht,
keinen Ton vernimmt das Ohr;
Blau zum blauen Himmel zieht
Sacht der Rauch vom Schnee empor.
Möchte schlafen wie der Baum,
Ohne Lust und ohne Schmerz;
Doch der Rauch zieht wie im Traum
Still nach Haus mein Herz.
Klaus Groth