Zeit Zitate (Seite 62)
Abreise
So hab ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;
Ich ziehe rüstig meiner Straßen,
Es gibt mir niemand das Geleit.
Man hat mir nicht den Rock zerrissen
Es wär auch schade für das Kleid!
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergroßem Herzeleid.
Auch keinem hat's den Schlaf vertrieben.
Daß ich am Morgen weitergeh;
Sie konnten's halten nach Belieben,
Von einer aber tut mir's weh.
Ludwig Uhland
Verborgenes Leid.
Im Walde wohnt mein Leid,
ich darf es niemand klagen,
zum Walde muß ich's tragen,
zur tiefsten Einsamkeit.
Kommt je in künftiger Zeit,
ein Mensch zu jenen Gründen,
im Walde kann er finden
mein scheues Herzeleid.
Sieht er im Walde weit,
recht einsam und verschwiegen,
die tiefsten Schatten liegen,
das ist mein finstres Leid.
Ludwig Uhland
Schwere Zeit
Die Jungfrau in der Nebenstuben –
ich frage mich, was tut sie nur?
Ich hör die Stimme eines Buben –
so spät am Abend? Um elf Uhr?
Wie er mutiert! Und ihre Stimmen
verklingen sacht – sie murmeln leis.
Bin ich der Zeuge einer schlimmen
Verbrechertat? Wer weiß! Wer weiß!
Sie spricht ihm gütig zu. Belehrend
ertönt ihr lieblicher Sopran.
Er lacht: »Jawohl!« Dies ist erschwerend!
Was wird dem Knaben nur getan?
Sind das nicht halberstickte Küsse?
Ich frag sie später, was sei treibt...
Kurt Tucholsky
Am Wegesrand
Auf der Terrasse sitze ich,
mit Blick in unseren Garten.
Sehr darauf gefreut habe ich mich
und konnte es kaum erwarten.
Ich will sie spüren, die warme Luft;
weit öffne ich Fenster und Tür.
Der Garten hängt voll mit blumigem Duft,
und ich bin dankbar dafür.
Bin dankbar für Blumen, Wiesen und Bäume,
für Tiere aller Arten,
für die Erfüllung mancher Träume.
Was darf ich vom Leben mehr erwarten?
Wir sollten öfter ruhig stehen,
um links und rechts zu schauen.
Zeit haben, aufeinander...
Edith Tries
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise
Es ist der Liebe milde Zeit
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Georg Trakl
Letzte Liebe
Wie an der Neige unserer Zeit
Wir zarter, abergläubischer lieben!
Als Abglanz der Vergänglichkeit
Ist, letzte Liebe, dein Strahl geblieben.
Den halben Himmel deckt die Nacht,
Und nur im Westen schweifen Lichter.
Verweile, verweile, du Abendpracht,
Verstrick mich, Zauber, dicht und dichter.
Mag spärlich das Blut sich regen,
Doch voller Zartheit ist das Herz.
O letzte Liebe, Fluch und Segen
Und Glück und hoffnungsloser Schmerz.
Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew
Über Nacht, über Nacht
kommt still das Leid,
Und du bist erwacht,
O traurige Zeit!
Du grüßest den dämmernden Morgen
Mit Weinen und Sorgen.
Über Nacht, über Nacht
Kommt das stille Glück,
Und du bist erwacht,
O selig Geschick!
Der düstere Traum ist zerronnen
Und Freude gewonnen.
Über Nacht, über Nacht
Kommt Freud und Leid,
Und eh du's gedacht,
Verlassen dich beid'
Und gehen, dem Herren zu sagen,
Wie du sie getragen.
Julius Karl Reinhold Sturm
Oft stellt sich jene Zeit mir dar,
wo ich ein frohes Kind noch war
und oft am knisternden Kamin
mich wiegte auf des Vaters Knien.
Und wenn der Abend still genaht,
die Mutter um ein Märchlein bat,
wo sie dann freundlich ausgestellt
vor meinem Blick die Zauberwelt:
Mit Bäumen, welche ewig grünen,
mit Blumen, welche nie verblüh'n,
mit Schlössern von Diamantenstein,
mit Rittern, Riesen, Zwergen, Fei'n.
Julius Karl Reinhold Sturm
Im Glücke geht ein wunderliches Walten!
Viel besser magst du's finden als behalten;
Es wanket, eh man irgend es besorgt.
Den es betrüben will, es gern bei Zeit bedenket,
Und nimmt bei Zeitren gern zurück, was es geschenket;
Den blendet's, der zu viel von ihm geborgt.
Es hat schwache Stütze
Das gläserne Glücke;
Spiegelt sich's den Augen und scheint wunders nütze:
Gerade dann bricht's leicht in kleine Stücke.
Gottfried von Straßburg
Land und Leute könnten voller Ruhe sein,
Wären nicht zwei kleine Wörter: mein und dein;
Die wirken manche Wunder auf der Erde.
Wie gehn sie rüttelnd, wie so wütend überall
Und treiben alle Welt herum wie einen Ball.
Ich denke ihres Krieges nie mehr Ende werde.
Böse Gierigkeit
Schlingt um alles sich hin seit Evas Zeit,
Verwirrt ein jedes Herz und jedes Reich.
Weder Herz noch Zungen
Meinen nichts noch lieben nichts, als Falsch und Änderungen.
Liebe und Rechtsspruch sind an Trug sich gleich.
Gottfried von Straßburg
In seinem Garten wandelt er allein;
In alle Bäume gräbt er immer wieder
Gedankenschwer den einz'gen Namen ein,
Und in dem Namen klagen seine Lieder.
Sanft blaut der Himmel, milde Rosen webt
Die Sommerzeit durch mächt'ge Blättermassen.
Er schaut sie nicht; die Zeit, in der er lebt,
Ist alt, verblüht, von allen längst verlassen.
Theodor Storm
Über die Heide
Über die Heide hallet mein Schritt;
dumpf aus der Erde wandert es mit.
Herbst ist gekommen, Frühling ist weit –
gab es denn einmal selige Zeit?
Brauende Nebel geistern umher;
schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.
Wär' ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe – wie flog es vorbei!
Theodor Storm