Wille Zitate (Seite 67)
Anders sein und anders scheinen,
anders reden, anders meinen,
alles loben, alles tragen,
allen heucheln, stets behagen,
allem Winde Segel geben,
Bös' und Guten dienstbar leben,
alles Tun und alles Dichten
bloß auf eignen Nutzen richten:
wer sich dessen will befleißen,
kann politisch heuer heißen.
Friedrich Freiherr von Logau
Flügel
Will ich mein Maß, so nennt man mich vermessen,
Aus jedem Teller muß ich Bittres essen,
Und was mir nicht geschah, es ist geschehn.
Du lehrtest mich ein stilles Unterdessen:
Figuren in der Rankenwand der Kressen
Als Flügel durch das Abendgelb zu sehn.
Du lehrtest mich zu fragen auch vergessen:
Wohin die Flüge? Und die Flügel wessen?
Du machtest mich zum Kind, mir beizustehn.
Oskar Loerke
Vorfrühling
Seelenvoll neigt dämmernd des Himmels Lichtblau
Sich zur Erdnacht nieder im Blumenkelche;
Laub an Laub, schwertauende Blätter, wie sie
Flüstern im Schlafe!
Will es Frühling werden, und kommt ihr wieder,
Ihr aus mildern Zonen gesandte Tage,
Von der holden Lerche verkündigt, kommt ihr,
Kommt ihr doch wieder?
Hermann Ritter von Lingg
Hüte dich!
Nachtigall, hüte dich!
Singe nicht so lieblich!
Ach, dein allerschönstes Singen
Wird dich um die Freiheit bringen.
Hüte dich!
Schöne Blume, hüte dich,
Blühe nicht so glühend,
Dufte nicht so voll Entzücken!
Wer dich siehet, will dich pflücken,
Hüte dich!
Schönes Mädchen, hüte dich,
Lächle nicht so gütig!
Deine Schönheit, deine Güte!
Denk an Nachtigall und Blüte!
Hüte,
Hüte dich!
Hermann Ritter von Lingg
Die Wehmut
Ich hab' einen Haß, einen grimmigen Haß
Und weiß doch selbst nicht recht auf was.
Ich bin so elend, so träge und faul
Wie 'n abgeschundner Ackergaul.
Ich hab' einen bösen Zug im Gesicht.
Mir ist niemand Freund, ich will es auch nicht.
Ich hab' eine Wut auf die ganze Welt.
In der mir nicht mal mehr das Laster gefällt.
Und schimpfe und fluche, ich oller Tor
Und komme mir sehr dämonisch vor.
Alfred Lichtenstein
Die Wurzeln des Übels
Mein Kind, das ist der Grund des Übels:
Ich kann bei dir nicht stündlich sein;
sonst kämst du nicht auf den Gedanken,
daß Küssen könnte sündlich sein.
Das Gegenteil will ich beweisen;
doch soll die Wirkung gründlich sein,
so muß vor allem das Verfahren
sowohl geheim als mündlich sein.
Heinrich Leuthold
Das Alter
Nach der 11ten Ode Anakreons
Euch, lose Mädchen, hör ich sagen:
– Du bist ja alt, Anakreon.
Sieh her! du kannst den Spiegel fragen,
Sieh, deine Haare schwinden schon;
Und von den trocknen Wangen
Ist Blüt und Reiz entflohn. –
Wahrhaftig! ob die Wangen
Noch mit dem Lenze prangen,
Wie, oder ob den Wangen
Der kurze Lenz vergangen,
Das weiß ich nicht; doch was ich weiß,
Will ich euch sagen: daß ein Greis,
Sein bißchen Zeit noch zu genießen,
Ein doppelt Recht hat, euch zu küssen.
Gotthold Ephraim Lessing
An Salomon
Hochweiser Salomon! Dein Spruch,
daß unter Tausenden kein gutes Weib zu finden,
gehört – gerad heraus – zu deinen Zungensünden;
und jeder Fluch ist minder Fluch
als dieser schöne Sittenspruch.
Wer sie bei Tausenden will auf die Probe nehmen,
wie du getan, hochweiser Mann,
muß sich bei Tausenden der Probe freilich schämen,
wird drüber wild und lästert dann.
Gotthold Ephraim Lessing
Kleine Schöne, küsse mich.
Kleine Schöne, schämst du dich?
Küsse geben, Küsse nehmen,
Darf dich jetzo nicht beschämen.
Küsse mich noch hundertmal!
Küß und merk der Küsse Zahl.
Ich will dir, bei meinem Leben!
Alle zehnfach wiedergeben,
Wenn der Kuß kein Scherz mehr ist,
Und du zehn Jahr älter bist.
Gotthold Ephraim Lessing
Lob der Faulheit
Faulheit, endlich muß ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen!
O! ... Wie ... sauer ... wird es mir
Dich nach Würde zu besingen!
Doch ich will mein Bestes tun:
Nach der Arbeit ist gut ruhn.
Höchstes Gut, wer dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben. . .
Ach! ... ich gähn! ... ich ... werde matt.
Nun, so magst du mir's vergeben,
Daß ich dich nicht singen kann:
Du verhinderst mich ja dran.
Gotthold Ephraim Lessing