Wille Zitate (Seite 57)
Einsamkeit
Verflogne Taube an dem Felsenstrand,
Ein Wirbelwind hat dich dem Schwarm entführt!
Und mich, wie's meinem Wagemuth gebührt,
Verschlug ein Sturm ans gleiche Inselland.
Wir zwei zur selben Einsamkeit verbannt,
Bestimmt, daß eins des andern Frohmuth schürt,
Daß eins das andere zum Glück verführt,
Um das uns trog der Winde Unverstand.
Verflogne Taube! Laß uns Freunde sein
Und uns're Herzen aneinander wärmen,
So lang uns günstig ist der Sterne Schein.
Laß ab, dich um Verlorenes zu...
Ludwig Scharf
Urfrage
Eine Phalanx ist vorübergeritten:
Das war eine Menschengeneration!
Da ist auch eine andere schon
Und wandelt in der ersten Tritten:
Was jene gelebt, was jene gelitten,
Auch ihr beschert, so Glück wie Frohn.
Und weiter wachsen die Generationen
Und rollen über der Erde Zonen –
Und eine σϕαιρα* rollt hinter der andern:
Was soll, was will dies ewige Wandern?
Wann soll es enden? Wo hört das auf?
Wann gehn die Gestirne der Hirnschal' auf,
Daß wir erkennen, wozu, wozu??
"Jenen Sternen zu!" –...
Ludwig Scharf
Auf gutem Weg
Diese Unrast, die ich hatte,
während suchend ich zugange war,
will nun endlich weichen.
War vorher alles wie in Watte,
ist nun alles hell und klar,
sehe ich die Zeichen.
Doch noch sind wir nicht am Ziel.
Noch ist noch ein gutes Stück
an diesem Werk zu schmieden.
Und braucht es auch noch Tage viel,
erfreu ich mich an unsrem Glück
und findet meine Seele Frieden.
Paul Schalamon
Heute beginnt die Zeit des Advent,
das erste Lichtlein brennt.
Wo brennt es, am Adventskranz nur?
Dann ist das Licht Verschwendung pur.
Leuchten will es vor allem im Herzen,
dann ist es mehr als nur Licht der Kerzen.
Es wird zum hellen Hoffnungsschimmer,
dass die Liebe lebendig ist für immer.
Helga Schäferling
Manchmal bin ich ein Engel
Bin einfühlsam und verständig.
Hab das Herz am rechten Fleck
und halte meine Arme ganz weit auf,
um Halt und Wärme zu geben.
Manchmal bin ich ein Engel
Manchmal bin ich ein Bengel
Ich stell die Welt auf den Kopf,
schmeiß die Regeln in den Müll
und lass mein Teufelchen raus.
Ich lebe, wie ich will!
Was and're denken, schert mich nicht.
Manchmal bin ich ein Bengel
und manchmal ein Engel.
Helga Schäferling
Was sie will – ist Fleisch vom Grill,
gefüllte Tomate – und vom Salate,
lecker essen – wie besessen,
nach der Speise – noch vom Eise,
und dann trinken – bis zum Abwinken,
Knabberei und vieles mehr – steht danach noch zum Verzehr,
folgt ungefragt – der Herzinfarkt
und über Nacht – mal nachgedacht
mit Affenzahn – zum Abnehmwahn.
Ursula Schachschneider
Wundernacht
In den Strahlen des Monds, die zur Erde staunen,
Ist mein Gärtchen ein herrlicher Garten geworden,
Voll Blumen der seltensten Arten geworden,
Die Märchen duften und Düfte raunen.
Und mein blühender, glühender Goldregenstrauch
Läßt zu des Pfades silbernen Kieseln,
Wie ein Springbrunn, die Goldtropfen niederrieseln,
Und die Tropfen verstäuben berauschenden Hauch.
Und mir ist und ich kann mich nimmer besinnen;
Will den Goldregen sacht auseinanderbiegen,
Ob nicht eine Danae da mag...
Hugo Salus
Mein Testament
Fällt sie zu anderm Staub' dahin,
Die abgetragne Hülle,
So ist, ihr Freunde, dies mein Wille,
Und bleibt mein unveränderlicher Sinn:
Von aller meiner Habe
Gehöre meine Lust dem Traurigen,
Mein Schmerz dem stillen Grabe,
Mein Gold dem Geizigen,
Mein Mut dem Redlichen, den man gern unterdrückte,
Mein Garten, die Natur,
Wo ich der Freuden viele pflückte,
Und mein Gesang, die Frucht von meinen Frühlingstagen,
Dem frommen Zärtlichen,
Und meine liebste Flur
Der Freundschaft stillen...
Karoline Christiane Louise Rudolphi
O glaube nicht, daß du nicht seiest mitgezählt;
Die Weltzahl ist nicht voll, wenn deine Ziffer fehlt.
Die große Rechnung zwar ist ohne dich gemacht,
Allein du selber bist in Rechnung mitgebracht.
Ja mitgerechnet ist auf dich in alle Weise;
Dein kleiner Ring greift ein in jene größeren Kreise.
Zum Guten, Schönen will vom mangelhaften Bösen
Die Welt erlöst sein, und sollst sie mit erlösen.
Vom Bösen mache dich, vom Mangelhaften frei;
Zur Güt' und Schöne so der Welten trägst du bei.
Friedrich Rückert
Ich habe geklopft an des Reichtums Haus;
Man reicht mir 'nen Pfenning zum Fenster heraus.
Ich habe geklopft an der Liebe Tür;
Da stehen schon fünfzehn andere dafür.
Ich klopfte leis an der Ehre Schloß;
"Hier tut man nur auf dem Ritter zu Roß!
Ich habe gesucht der Arbeit Dach;
Da hört' ich drinnen nur Weh und Ach!
Ich suchte das Haus der Zufriedenheit;
Es kannt es niemand weit und breit.
Nun weiß ich noch ein Häuslein still,
Wo ich zuletzt anklopfen will.
Zwar wohnt darin schon mancher...
Friedrich Rückert
Der Himmel hat eine Träne geweint,
Die hat sich ins Meer zu verlieren gemeint.
Die Muschel kam und schloß sie ein;
Du sollst nun meine Perle sein.
Du sollst nicht vor den Wogen zagen,
Ich will hindurch dich ruhig tragen.
O du mein Schmerz, du meine Lust,
Du Himmelsträn' in meiner Brust!
Gib, Himmel, daß ich in reinem Gemüte
Den reinsten deiner Tropfen hüte.
Friedrich Rückert
Komm, sprach das Mädchen, setze dich
Und nimm mich in die Lehre,
Verhöre deine Schülerin,
Da hast du die Grammäre.
Gut, sprach ich, liebe Schülerin,
Allein mir fehlt ein Rütchen;
Wenn du den Lehrer zornig machst,
Wie kühlt er sich das Mütchen?
Er soll, sprach sie, für jedes Wort
Mich an dem Näschen zupfen,
Und wenn er härter strafen will,
Mich an den Härchen rupfen.
Wie? sprach ich, sollen für den Mund
Die armen Härchen büßen?
Für jedes Wort, das du nicht weißt,
Sollst du mich einmal küssen.
Friedrich Rückert
Weil ich nichts anders kann als nur dich lieben,
will ich dich lieben denn so viel ich kann.
Zu hassen dich hatt' ich mir vorgeschrieben,
mit Hasse sah das Herz die Vorschrift an.
Dich zu vergessen hatt' ich mich getrieben;
vergessen war es eh ich mich besann.
Da so der Haß ward von sich selbst zerrieben,
so das Vergessen in sich selbst zerrann;
so laß mich lieben denn, so viel ich kann, dich lieben,
weil ich nichts anders als dich lieben kann.
Friedrich Rückert