Wille Zitate (Seite 52)
Greisenglück
Wie man das Alter auch mag verklagen,
Wie viel Übles auch von ihm sagen,
Die Ehre muß man ihm dennoch geben,
Daß es uns gönnt, noch das zu erleben,
Wie es tut, sich fühlt und schmeckt,
Wenn sie, die uns so toll geschreckt,
Verbellt, gejagt, durch die Wälder gehetzt,
Wenn sie nun endlich zuguterletzt,
Abläßt von ihrer keuchenden Beute,
Die Jägerin mit der grimmigen Meute,
Die wilde Jägerin Leidenschaft.
Es schmeckt wie ein kühlender Labesaft,
Es schmeckt wie ein Schläfchen nach...
Friedrich Theodor von Vischer
Einst wird die Weltposaune dröhnen,
Und mächtig aus des Engels Mund,
Ein lauter Donner wird es tönen:
"Du Erde, öffne deinen Schlund!"
Sie schüttelt träumend ihre Glieder,
Und alle Gräber tun sich auf
Und geben ihre Toten wieder,
Die kommen staunend Hauf zu Hauf.
Dann, wenn, den großen Spruch zu sprechen,
Der Ew'ge sich vom Stuhl erhebt,
Und stockend alle Herzen brechen,
Und Todesangst die Welt durchbebt.
Und laut erkracht des Himmels Krone –
Denn ringsum Schweigen fürchterlich –
Dann will...
Friedrich Theodor von Vischer
Gefangen
Als einst in jenes Laubdachs Dunkelhelle
Voll Inbrunst meine Arme dich umschlangen,
Als Haupt an Haupt und Wang' an Wange drangen,
Du schlankes Reh, schwarzäugige Gazelle,
Da traf ein Mücklein auf die holde Stelle,
Und zwischen unsern angeschmiegten Wangen
Hat es in irrem Taumel sich gefangen,
Es surrt und zappelt, will entfliehen schnelle.
Nicht wahr, du Schelm, das hat dir nicht geträumet,
Es warte dein so wunderlich Verhängniß?
So bleibe nur und werde nicht so bange!
Ein...
Friedrich Theodor von Vischer
Scheinleben
Und seit des Nichts unsäglicher Gedanke,
Ein wilder Blitz, mir in die Seele schlug,
Ist Schein geworden all mein Thun und Wesen,
Ist all mein Leben eitel Lug und Trug.
Am Richtplatz sah man: wenn das Haupt gefallen,
Auffährt der Rumpf und bebt zwei Schritte fort,
Das Auge zuckt und will die Welt noch sehen,
Die Lippen stammeln noch ein leises Wort.
Friedrich Theodor von Vischer
Ein Schlaf mit großem Falle
Fällt über mein Sein:
Alle Hoffnung, schlummere ein,
Schlummert ein, Wünsche alle!
Nichts seh ich mehr recht
Und kann nichts mehr geben
Auf Gut oder Schlecht ...
O, das trübe Leben!
Eine Wiege ist mein Wille,
Den tief im hohlen Grab
Eine Hand schaukelt auf und ab:
Stille, stille!
Paul Verlaine
Wahrlich ich bin von Leid zerfetzt,
vertrieben, wie ein Wolf gehetzt,
der matt ward von dem wilden Jagen,
aus Schutz und Ruhe aufgestört,
ein flüchtig Tier, in das empört
die Meuten ihre Zähne schlagen.
Der Haß, der Neid, das Geld: wie gut
sie hetzen können! wie voll Wut
die Spürhunde mich scharf umlauern!
Das währt schon monde-, jahrelang;
mein Mittagbrot verzehr' ich bang,
mein Abendbrot mit Schreck und Schauern.
Doch in der Heimat rauhem Tann
da fällt mich noch ein Hetzhund an:
der Tod –...
Paul Verlaine
Ruhe
(übers. v. Richard Dehmel)
Ein großer schwarzer Traum
legt sich auf mein Leben;
alles wird zu Raum,
alles will entschweben.
Ich kann nichts mehr sehn,
all das Gute, Schlimme;
kann dich nicht verstehn,
o du trübe Stimme.
Eine dunkle Hand
schaukelt meinen Willen;
glättet mein Gewand,
still im Stillen.
Paul Verlaine
Herbstlied
In Seufzerlauten
schluchzen die Lauten
des Herbstes her,
verwunden mein Herz
mit dumpfem Schmerz
eintönig, schwer.
So fahl drückt die Runde,
als ob meine Stunde
schlagen will;
ich denke zurück
an verlorenes Glück
und weine still.
Und ich irre blind
im wilden Wind ...
er treibt mich matt
hin und her
wie im Sturmesmeer
ein welkes Blatt.
(übersetzt von Franz Evers)
Paul Verlaine
Wenn ich gestorben bin
Laß mich noch einmal deine Lippen küssen,
so Mund an Mund in sehnsuchtsvoller Pein,
mein Liebstes du, eh wir uns trennen müssen,
will ich noch einmal reich und glücklich sein.
Heut glüht dir noch der rote Blütensegen –
wohin ist morgen all der Duft und Glanz?
Wenn ich gestorben bin – dann wirst du legen
still auf mein Grab den weißen Rosenkranz.
Leon Vandersee
An Amor
Amor, Vater süßer Lieder,
Du mein Phöbus, kehre wieder!
Kehre wieder in mein Herze!
Komm! doch mit dem schlauen Scherze:
Komm und laß zugleich Lyäen
Dir zur Seite lachend gehen!
Komm mit einem holden Kinde,
Das mein träges Herz entünde,
Und durch feuervolle Küsse
Zum Horaz mich küssen müsse!
Willst du, Gott der Zärtlichkeiten:
Laß auch Schmerzen dich begleiten!
Ich will lieber deine Schmerzen,
Als nicht küssen und nicht scherzen.
Johann Peter Uz
Die Rache
Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn,
Der Knecht wär selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunklen Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.
Hat angelegt die Rüstung blank,
Auf des Herren Roß sich geschwungen frank.
Und als er sprengen will über die Brück,
Da stutzet das Roß und bäumt sich zurück.
Und als er die güldnen Sporen ihm gab,
Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab.
Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.
Ludwig Uhland
Der gute Kamerad
Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern find'st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt sie mir oder gilt sie dir?
Ihn hat sie weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär's ein Stück von mir.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!
Ludwig Uhland
Frühlingsglaube
Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!
Ludwig Uhland
Sie schläft
Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit –
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück –
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt ...
pick-pack ...
»Sie schläft mit ihm« ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkel zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück –
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich...
Kurt Tucholsky
Träume
Träume kommen und gehen,
mal sind sie fern, mal nah,
nicht immer deutlich zu sehen,
doch oft bewußt und klar.
Ich möchte so vieles noch machen,
viel Schönes erleben und sehen,
will nicht mehr weinen – nur lachen,
und auf der Sonnenseite stehen.
Doch dunkle Wolken hüllen
oft meine Träume ein.
Was wird sich noch erfüllen,
was wird noch möglich sein?
Träume kommen und gehen,
doch meistens sind sie ganz klar,
ich kann sie deutlich sehen,
und hoffe, sie werden wahr.
Edith Tries