Wenn Leben Zitate (Seite 65)
Ein losgerissener Baum.
Weithin vom rasenden Sturm getragen
Aus trautem Waldgeheg
Liegt er verscheidend am Weg.
Durch den Wipfel, der einst so kühn
Gen Himmel getragen sein Grün,
Rauschen jetzt einsam Todesklagen.
Schmerzlich zucken die Blätter, durchzittert
Vom leisen Windeshauch,
Aus niedrem Strauch
Kriecht der Wurm
Preisend den Sturm,
Der dies stolze Leben zersplittert.
Wenn dein Mut von den Stürmen und Wettern
Des Schicksals besiegt
...
Eugenie Marlitt
Deine Hände
Jetzt bin ich lüstern nach deinen Händen.
Wenn sie die meinen begrüßend drücken,
können sie Weltraum-staunend beglücken.
Deine Hände führen ein selbstgewolltes, stilles Leben.
Ich habe mich deinen Händen ergeben.
Nun dürfen sie mich begreifen und fassen,
zu deinen Höhen, mit Blicken nach Weiten,
mich geschenk-gütig heben. –
Spielerisch aber werden sie mich übergleiten
und am Wege hier liegen lassen.
Ernst Wilhelm Lotz
Gedenke, daß du Schuldner bist
Der Armen, die nichts haben,
Und deren Recht gleich deinem ist
An allen Erdengaben.
Wenn jemals noch zu dir des Lebens
Gesegnet goldne Ströme gehn,
Laß nicht auf deinen Tisch vergebens
Den Hungrigen durch's Fenster sehn;
Verscheuche nicht die wilde Taube,
Laß hinter dir noch Ähren stehn,
Und nimm dem Weinstock nicht die letzte Traube.
Hermann Ritter von Lingg
Mußt du mich lieben,
Wirst du mich lieben,
Ward schwarz auch mein weißes Angesicht –
Zur Schönheit wurde gar mancher getrieben
Und kannte die wahre Liebe nicht.
Mußt du mich küssen,
Wirst du mich küssen,
Wenn bleich auch die Lippen, mit langem Kuß –
Es mag die roten wohl keiner missen,
Die bleichen küßt nur der Liebe Muß.
Bist du mein eigen,
Bleibst du mein eigen,
Was mir das Leben auch bringen mag –
Soll deiner Liebe Sonne sich zeigen,
Muß sie sich zeigen am dunklen Tag.
Thekla Lingen
Die Liebe
Ohne Liebe
Lebe, wer da kann!
Wenn er auch ein Mensch schon bliebe,
Bleibt er doch kein Mann.
Süße Liebe,
Mach mein Leben süß!
Stille nie die regen Triebe
Sonder Hindernis.
Schmachten lassen
Sei der Schönen Pflicht!
Nur uns ewig schmachten lassen,
Dieses sei sie nicht.
Gotthold Ephraim Lessing
Kleine Schöne, küsse mich.
Kleine Schöne, schämst du dich?
Küsse geben, Küsse nehmen,
Darf dich jetzo nicht beschämen.
Küsse mich noch hundertmal!
Küß und merk der Küsse Zahl.
Ich will dir, bei meinem Leben!
Alle zehnfach wiedergeben,
Wenn der Kuß kein Scherz mehr ist,
Und du zehn Jahr älter bist.
Gotthold Ephraim Lessing
Ach wärst du mein
Ach wärst du mein, es wär' ein schönes Leben!
So aber ists Entsagen nur und Trauern,
Und ein verlornes Grollen und Bedauern;
Ich kann es meinem Schicksal nicht vergeben.
Undank tut wohl und jedes Leid der Erde;
Ja! meine Freund' in Särgen, Leich' an Leiche,
Sind ein gelinder Gram, wenn ichs vergleiche
Dem Schmerz, daß ich dich nie besitzen werde.
Nikolaus Lenau
Ich leb, ich sterb...
Ich leb, ich sterb: ich brenn und ich ertrinke,
ich dulde Glut und bin doch wie im Eise;
mein Leben übertreibt die harte Weise
und die verwöhnende und mischt das Linke
mir mit dem Rechten, Tränen und Gelächter.
Ganz im Vergnügen find ich Stellen Leides,
was ich besitz, geht hin und wird doch echter:
ich dörr in einem und ich grüne, beides.
So nimmt der Gott mich her und hin. Und wenn
ich manchmal mein, nun wird der Schmerz am größten,
fühl ich mich plötzlich ganz...
Louise Labé
Küß mich noch einmal, küß mich wieder, küsse
Mich ohne Ende. Diesen will ich schmecken,
In dem will ich an deiner Glut erschrecken,
Und vier für einen will ich, Überflüsse
Will ich dir wiedergeben. Warte, zehn
Noch glühendere, bist du nun zufrieden?
O daß wir also, kaum mehr unterschieden,
Glückströmend ineinander übergehn.
In jedem wird das Leben doppelt sein.
Im Freunde und in sich ist einem jeden
Jetzt Raum bereitet. Laß mich Unsinn reden:
Ich halt mich ja so mühsam in mir ein
Und...
Louise Labé
Amselpaar
Da fliegt ein schwarzer Vogel auf,
Ein schwarzer Vogel fliegt dazu;
Das ist des Lebens süßer Lauf –
Die ganze Welt ist du und du.
O du mein armes Vögelein
Im ungesellten Neste dort,
Wann werden wir beisammen sein,
Und fliegen auf und fliegen fort?
Geduld, Geduld; die Zeit vergeht,
Doch kommt sie auch! Das ist mein Trost;
Und wenn das Herz nicht stille steht,
Die Zeit hat keinen Rost!
Ferdinand Kürnberger
Die Blumen schwanden, auch die letzten,
Die Mensch und Tier und Flur ergötzten
Mit Blütenduft und Farbengold;
Doch alle keimten, wuchsen, blühten,
Und ehe sie im Herbst verglühten,
Erfüllten sie, was sie gesollt.
Laß meines Lebens Herbst erst kommen,
O Herr, wenn ich zu Nutz und Frommen
Der Welt gewirkt auf meiner Bahn!
Ruf mich zu dir an jenem Tage,
Wo ich mit Zuversicht mir sage:
Was ich gesollt, hab ich gethan!
Ludwig Kossarski
Dein Wert
fühle dich nicht minder Wert,
als du wirklich bist.
denn es birgt das Risiko,
dass du eins vergisst.
nichts auf dieser unsrer Welt
kann so sein wie du.
nicht der allergrößte Held
macht etwas wie du.
und es wird immer jemand geben,
dem egal ist, wie du bist.
solange du dein ganzes Leben,
nur eine Sache nicht vergisst.
Dass du nicht minder wert bist als der Rest,
wenn du träumst und lebst und liebst,
denn es wird immer jemand geben,
der das braucht, was du ihm gibst!
Frank Korablin