Stille Zitate (Seite 10)
Abendlied
Ich sitz' am einsamen Strande,
Grau kommt der Abend daher,
Grau ruht und unabsehbar,
Oede vor mir das Meer.
Es streicht eine Möve droben
Dahin mit klagendem Schrei,
Und einsam kommt sie geflogen,
Und einsam fliegt sie vorbei.
Es dunkelt still auf den Wellen,
Es dunkelt still in der Höh'!
Der Vogel fliegt weiter und weiter,
Hinaus in die Nacht und die See.
Edmund Hoefer
Nachtgefühl
Wenn ich mich abends entkleide,
Gemachsam, Stück für Stück,
So tragen die müden Gedanken
Mich vorwärts oder zurück.
Ich denke der alten Tage,
Da zog die Mutter mich aus;
Sie legte mich still in die Wiege,
Die Winde brausten ums Haus.
Ich denke der letzten Stunde,
Da werdens die Nachbarn tun;
Sie senken mich still in die Erde,
Dann werd ich lange ruhn.
Schließt nun der Schlaf mein Auge,
Wie träum ich so oftmals das:
Es wär eins von beidem,
Nur wüßt ich selber nicht, was.
Christian Friedrich Hebbel
Die junge Mutter
Sie hat ein Kind geboren,
Zu höchster Lust in tiefstem Leid,
Und ist nun ganz verloren
In seine stumme Lieblichkeit.
Es blüht zwei kurze Tage,
So daß sie's eben küssen mag,
Und ohne Laut und Klage
Neigt es sein Haupt am dritten Tag.
Und wie es still erblaßte,
So trägt sie still den heil'gen Schmerz,
Und eh' sie's ganz noch faßte,
Daß es dahin ist, bricht ihr...
Christian Friedrich Hebbel
Das Dorf im Schnee
Still, wie unterm warmen Dach,
Liegt das Dorf im weißen Schnee;
In den Erlen schläft der Bach,
Unterm Eis der blanke Schnee.
Weiden steh'n im weißen Haar,
Spiegeln sich in starrer Flut;
Alles ruhig, kalt und klar
Wie der Tod der ewig ruht.
Weit, so weit das Auge sieht,
keinen Ton vernimmt das Ohr;
Blau zum blauen Himmel zieht
Sacht der Rauch vom Schnee empor.
Möchte schlafen wie der Baum,
Ohne Lust und ohne Schmerz;
Doch der Rauch zieht wie im Traum
Still nach Haus mein Herz.
Klaus Groth
Die Zukunft decket
Schmerzen und Glücke
Schrittweis dem Blicke,
Doch ungeschrecket
Dringen wir vorwärts.
Und schwer und ferne
Hängt eine Hülle
Mit Ehrfurcht. – Stille
Ruhn oben die Sterne
Und unten die Gräber.
Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
Versäumt nicht zu üben,
Die Kräfte des Guten!
Hier flechten sich Kronen
In ewiger Stille,
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen!
Wir heißen euch hoffen!«
Johann Wolfgang von Goethe
Jägers Abendlied
Im Felde schleich' ich still und wild,
Gespannt mein Feuerrohr.
Da schwebt so licht dein liebes Bild,
Dein süßes Bild mir vor.
Du wandelst jetzt wohl still und mild
Durch Feld und liebes Tal,
Und ach, mein schnell verrauschend Bild,
Stellt sich dir's nicht einmal?
Des Menschen, der die Welt durchstreift
Voll Unmut und Verdruß,
Nach Osten und nach Westen schweift,
Weil er dich lassen muß.
Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu seh'n;
Ein...
Johann Wolfgang von Goethe
Oft in tiefer Mitternacht
Faßt mich ein unendlich Bangen
Um die Tage, die vergangen
Und mich nicht ans Ziel gebracht.
Was ich jung umsonst gesucht,
Kann ich's alternd noch erringen?
An die ausgewachsnen Schwingen
Hing sich, ach, des Siechtums Wucht.
– Wirf denn hin den Zauberstab,
Eh' er dir entsinkt mit Schmerzen!
Nimm die letzte Glut im Herzen
Ungesungen mit ins Grab! –
Still, o still! Ich lern' es nie,
Stumme Tage klug zu weben.
Trostlos Darben wär ein Leben
Ohne dich, o Poesie!
Nach dem...
Emanuel Geibel
Lied
Ach, du fliehst vergebens
Was dich härmt und kränkt:
Keinem wird des Lebens
Bittrer Zoll geschenkt.
Wenn der erste süße
Jugendleichtsinn schwand,
Bleibt dir an die Füße
Stets ein Weh gebannt.
Zu den höchsten Matten,
Unter's stille Dach
Wandelt, wie dein Schatten,
Dir die Sorge nach.
Mischt zu jedem Glanze
Sich als Nebel still,
Nagt an jedem Kranze,
Der dir blühen will;
Bis du, unter Schmerzen,
An durchkämpftem Tag
Dir errangst im Herzen,
Was sie bänd'gen mag:
Muth, der...
Emanuel Geibel
Die stille Wasserrose
Die stille Wasserrose
Steigt aus dem blauen See,
Die feuchten Blätter zittern,
Der Kelch ist weiß wie Schnee.
Da gießt der Mond vom Himmel
All seinen goldnen Schein,
Gießt alle seine Strahlen
In ihren Schoß hinein.
Im Wasser um die Blume
Kreiset ein weißer Schwan;
Er singt so süß, so leise,
Und schaut die Blume an.
Er singt so süß, so leise,
Und will im Singen vergehn –
O Blume, weiße Blume,
Kannst du das Lied verstehn?
Emanuel Geibel
Fern
Fern vom Strand, wenn an den Felsenklippen
scheidend, glühend-rot der Tag verglomm,
hauchen in die Dämmrung meine Lippen
still verträumt ein sehnsuchtszittern: "Komm!"
Meine Blicke, die noch tränenfeuchten,
streifen hoffnungslos den öden Strand.
Stille rings! Die See, vom Meeresleuchten
überflutet, trägt ihr Prachtgewand.
Sinnend weil ich in dem Zauberlande,
bis der Vollmund küßt die schwüle Nacht,
träum, ich ruht in deinem Arm am Strande,
wachgeküßt von deiner Liebesmacht.
Else Galen-Gube
Bleib stille stehn und schau…
vor deinen Augen breitet sich Unendlichkeit,
zu deinen Füßen lecken kleine Wellen sich hinan
und legen Muscheln ab in farbenfrohem Kleid.
Du hebst sie auf, legst eine an dein Ohr
und lauscht hinein, ihr Rauschen zu vernehmen,
schaust wieder übers Meer und dann empor
und legst sie still zurück, woher du sie genommen.
Carl Peter Fröhling
Mittag
Am Waldessaume träumt die Föhre.
Am Himmel weiße Wölkchen nur.
Es ist so still, daß ich sie höre,
die tiefe Stille der Natur.
Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach.
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
leis tönend auf das Blätterdach.
Theodor Fontane