Steine Zitate (Seite 6)
Sieh, ich war so oft allein
Sieh, ich war so oft allein,
Und ich lernte gleich den Zweigen,
Gleich dem Stein,
Träume wachen, Worte schweigen.
Denke, daß ich Dichter bin.
Eure Sonne ist nicht meine.
Nimm als Freund mich hin,
Wenn ich dir auch fremd erscheine.
Laß mich lauschen aus der Ferne,
Wenn ihr tanzend schwebt,
Daß auch ich das Schwere lerne:
Wie man narrenglücklich lebt.
Joachim Ringelnatz
Natur
Wenn immer sie mich fragen,
Ob ich ein Freund sei der Natur,
Was soll ich ihnen nur
Dann sagen?
Ich kann eine Bohrmaschine,
Einen Hosenträger oder ein Kind
So lieben wie Blumen oder Wind.
Ein Sofa ist entstanden,
So wie ein Flußbett entstand,
Wo immer Schiffer landen,
Finden sie immer nur Land.
Es mag ein holder Schauer
Nach einem Erlebnis in mir sein.
Ich streichle eine Mauer
Des Postamts. Glatte Mauer aus Stein.
Und keiner von den Steinen
Nickt mir zurück.
Und manche Leute weinen
Vor...
Joachim Ringelnatz
Weil meine beiden Beine
Erfolglos müde sind,
Und weil ich gerade einsam bin,
Wie ein hausierendes Streichholzkind,
Setz ich mich in die Anlagen hin
Und weine.
Nun hab ich lange geweint.
Es wird schon Nacht; und mir scheint,
Der liebe Gott sei beschäftigt.
Und das Leben ist – alles, was es nur gibt:
Wahn, Krautsalat, Kampf oder Seife.
Ich erhebe mich leidlich gekräftigt.
Ich weiß eine Zeitungsfrau, die mich liebt.
Und ich pfeife.
Ein querendes Auto tutet.
Nicht Gold noch Stein waren echt
An...
Joachim Ringelnatz
Jene Große
Weil jeder sie so entzückend
Grün und natürlich fand,
Ging die große Mimose
Von Hand zu Hand.
Und ging und lebte, ward müde und schlief.
Und ward herumgereicht.
Und wünschte sich vielleicht – vielleicht! –
Ganz tief
So unempfindlich zu sein
Wie ein Stein.
Und wie sie trotzdem wunderbar
Organisch grün und wissend klar
Gedieh,
Umschwärmten, liebten, achteten sie
Die Menschen und die Tiere,
Merkten aber fast nie,
Daß sie keine Rose,
Daß sie eine große Mimose war.
Joachim Ringelnatz
Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war, –
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.
Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz...
Rainer Maria Rilke
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet, bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
und alles lügt ihn an, was ihm...
Rainer Maria Rilke
Leise von den Alleen
Ergriffen, rechts und links,
Folgend dem Weitergehen
Irgendeines Winks,
Tritts du mit einem Male
In das Beisammensein
Einer schattigen Wasserschale
Mit vier Bänken aus Stein;
In eine abgetrennte
Zeit, die allein vergeht.
Auf feuchte Postamente,
Auf denen nichts mehr steht,
Hebst du einen tiefen
Erwartenden Atemzug;
Während das silberne Triefen
Vor dem dunkeln Bug
Dich schon zu den Seinen
Zählt und weiterspricht.
Und du fühlst dich unter Steinen,
Die hören, und rührst...
Rainer Maria Rilke
Strophen
Ist einer, der nimmt alle in die Hand,
daß sie wie Sand durch seine Finger rinnen.
Er wählt die schönsten aus den Königinnen
und läßt sie sich in weißen Marmor hauen,
still liegend in des Mantels Melodie;
und legt die Könige zu ihren Frauen,
gebildet aus dem gleichen Stein wie sie.
Ist einer, der nimmt alle in die Hand,
daß sie wie schlechte Klingen sind und brechen.
Er ist kein Fremder, denn er wohnt im Blut,
das unser Leben ist und rauscht und ruht.
Ich kann nicht glauben, daß er...
Rainer Maria Rilke
Die Greisin
Weiße Freundinnen mitten im Heute
lachen und horchen und planen für morgen;
abseits erwägen gelassene Leute
langsam ihre besonderen Sorgen,
das Warum und das Wann und das Wie,
und man hört sie sagen: Ich glaube –;
aber in ihrer Spitzenhaube
ist sie sicher, als wüßte sie,
daß sie sich irren, diese und alle.
Und das Kinn, im Niederfalle,
lehnt sich an die weiße Koralle,
die den Schal zur Stirne stimmt.
Einmal aber, bei einem...
Rainer Maria Rilke
Erinnerung
Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.
Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.
Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich, und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.
Rainer Maria Rilke
Die Liebende
Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite
mich verlierend selbst mir aus der Hand,
ohne Hoffnung, daß ich das bestreite,
was zu mir kommt wie aus deiner Seite,
ernst und unbeirrt und unverwandt.
...jene Zeiten: O wie war ich Eines,
nichts was rief und nichts was mich verriet;
meine Stille war wie eines Steines,
über den der Bach sein Murmeln zieht.
Aber jetzt in diesen Frühlingswochen
hat mich etwas langsam abgebrochen
von dem unbewußten dunkeln Jahr.
Etwas hat mein armes warmes...
Rainer Maria Rilke
Abend
Der Abend wechselt langsam
die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich
die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt.
Und lassen dich,
zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus,
das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht
und steigt.
Und lassen dir
(unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft
und reifend,
sodaß es, bald begrenzt
und bald...
Rainer Maria Rilke
Prag
Auf dem alten jüdischen Friedhofe
Sinnend stand ich bei dem Grabe
Rabby Löv's, des jüd'schen Weisen,
Hörte wie im Traum den Führer
Seine todten Ahnherrn preisen.
Und warum, so frug ich staunend,
All' die Juden, groß und kleine,
Auf das Grab mit leisem Murmeln
Werfen bunte Kieselsteine?
Und es wurde mir die Antwort:
"Um zu ehren, ist geboten,
Daß wir Blumen streu'n Lebend'gen,
Steine auf das Grab der Todten."
Von solch' heidnischem Gebrauche
Sind wir Christen längst gereinigt:
Wir...
Ada Christen