Sinn Zitate (Seite 19)
Genug oft
Genug oft, daß zwei Menschen sich berühren,
– nicht leiblich, geistig nur – daß sie sich sehn</em>,
daß sie sich einmal gegenüberstehn –
um sich danach vielleicht auf immer zu verlieren.
Genug oft, daß ein Lächeln Zweier Seelen
vermählt – oh nicht vermählt! nur dies: sie führt,
so vor einander schweigend und erschüttert,
daß ihnen alle Wort' und Wünsche fehlen,
und jede, unaussprechlich angerührt,
nur tief vom Zittern der verwandten zittert.
Der kann von Liebe nicht reden,
dem sie...
Christian Morgenstern
Auf dem Strome
Am Himmel der Wolken
Erdunkelnder Kranz …
Auf schauerndem Strome
Metallischer Glanz …
Die Wälder zuseiten
So finster und tot …
Und in flüsterndem Gleiten
Vorüber mein Boot …
Ein Schrei aus der Ferne –
Dann still wie zuvor …
Wie weit sich von Menschen
Mein Leben verlor! …
Eine Welle läuft leise
Schon lang nebenher,
Sie denkt wohl, ich reise
Hinunter zum Meer …
Ja, ich reise, ich reise,
Weiß selbst nicht, wohin
Immer weiter und weiter
Verlockt mich mein Sinn …
Schon kündet ein...
Christian Morgenstern
Die Zirbelkiefer
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie las in einem Buche jüngst,
die Seele säße dort darin.
Sie säße dort wie ein Insekt
voll wundersamer Lieblichkeit,
von Gottes Allmacht ausgeheckt
und außerordentlich gescheit.
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie weiß nicht, wo sie sitzen tut,
allein ihr wird ganz fromm zu Sinn.
Christian Morgenstern
Briefe
Warum versankst du mir so ganz?
Ein Stein auf irgendeines Flusses Grund,
tief unter Wellentanz und -glanz,
ist mir nicht stummer als dein Mund.
Geh hin zum nächsten Fluß, geh hin,
und blick hinab, und siehst du einen Stein,
so grüß dein dunkles Brüderlein
und sag ihm traurig, wer ich bin.
Nein sag ihm fröhlich, wer ich war!
Ein Freund, mit dem du einst ein Herz und Sinn.
Nein, sag ihm traurig, wer ich bin:
ein Freund, nun aller Freundschaft bar.
Christian Morgenstern
Leise Lieder singe ich dir bei Nacht,
Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,
noch ein Stern, der etwa spähend wacht,
noch der Mond, der still im Äther schwimmt;
denen niemand als das eigne Herz,
das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht;
und an denen niemand als der Schmerz,
der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.
Leise Lieder singe ich dir bei Nacht,
dir, in dessen Aug mein Sinn versank,
und aus dessen tiefem, dunklen Schacht,
meine Seele ewige Sehnsucht trank.
Christian Morgenstern
Wutgedicht
Was störet oftmals Bürgers Sinn,
wenn nach viel Arbeit kein Gewinn,
Politik nur Unsinn hat bestimmt,
und allzu schlecht die Menschen sind.
In dieser Talkshowrepublik
werden die Uhren auf null gedreht,
wichtiges wird zurückgestellt,
denn es fehlt wieder Mal am Geld.
Der Gute eifert und will alles geben,
so dass es seine Ordnung hat im Leben,
doch wo der Egoismus triumphiert,
leider auch kein Altruismus existiert.
Horst Reiner Menzel
Heute schlag' ich
Alle Grillen aus dem Sinn.
Morgen frag' ich:
Warum ich so traurig bin.
Heute sag' ich:
Meine Lieb' ist ewig Dein!
Morgen klag' ich:
Deine Liebe macht mir Pein!
Heute wag' ich
Keck auf einen Wurf mein Glück;
Morgen trag' ich
Tief entmutigt mein Geschick. –
Und so wechseln heut' wie morgen
Uns're Launen, Glück und Sorgen!
Heinrich Martin
Unsterblichkeit, ein kühnes Wort bist du!
An den Särgen zu sprechen,
Gegen den Augenschein, gegen alles,
Was der Sinn lehrt:
Sieh, das ist unser Leben!
Unsterblichkeit, ein scharfes Wort bist du!
Dringst, ein Schwert, in die Seele:
Ob er noch umlenkt, der Gottvergessne,
Vor dem Abgrund!
O schneide scharf und heile!
Siegfried August Mahlmann