Sehr Zitate (Seite 23)
Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite,
Und möchte fürder, immer fürder streben:
Nie könnt ich lang an einer Scholle kleben,
Und hätt ein Eden ich an jeder Seite.
Mein Geist, bewegt von innerlichem Streite,
Empfand so sehr in diesem kurzen Leben,
Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,
Allein wie schwer, zu finden eine zweite.
Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,
Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,
Wenn dort verehrt es...
August Graf von Platen Hallermund (Hallermünde)
Theorie und Praxis
Sie sagte
der Film habe ich sehr gut gefallen
hervorragend
wie die Psyche dieser Frau
so sorgfältig
analysiert worden sei:
sie habe so deutlich
Liebe gewollt
es aber nicht geschafft
Liebe anzunehmen
nicht einmal
die schüchterne Zärtlichkeit
dieses Mannes –
wirklich ganz ausgezeichnet
beobachtet ...
Der, mit dem sie sprach
legte seine Hand auf ihre
da zog sie sie zurück ...
Jörn Pfennig
Lattenschuß
Ihm stand so sehr der Sinn
nach einem prallen Weib
und sie schien eine Frau zu sein
mit gutmütigem Unterleib.
Sie kamen einander näher
sie schürzte die Lippen zum Kuß –
es schwoll ihm nicht nur das Herze
er ahnte finalen Genuß!
Die Phantasie schlug Wogen
sie schien zu warten nur
bis er sie gänzlich näme –
da schaute sie auf die Uhr.
Sie sagte: ach wie schade
daß ich heim zum Gatten muß!
– Der vermeintlich volle Treffer
war nur ein Lattenschuß!
Jörn Pfennig
Warum sind der Tränen
Unterm Mond so viel?
Und so manches Sehnen,
Das nicht laut sein will?
Nicht doch, liebe Brüder!
Ist das unser Mut?
Schlagt den Kummer nieder;
Es wird alles gut!
Aufgeschaut mit Freuden,
Himmelauf zum Hernn!
Seiner Kinder Leiden
Sieht er gar nicht gern.
Er will gern erfreuen,
Und erfreut so sehr;
Seine Hände streuen
Segen's g'nug umher.
Nur dies schwach Gemüte
Trägt nicht jedes Glück,
Stößt die reine Güte
Selbst von sich zurück.
Wie's nun ist auf Erden,
Also sollt's nicht...
Christian Adolf Overbeck
Der graue Nebel umhüllt die Stadt
es ist noch keine Menschenseele erwacht.
Wie eine leere Hülle erscheint in diesem Moment die Welt,
eine Kerze steckt sie an, damit Licht und Wärme sie erhellt.
Denn kalt ist es auch -
ganz des Novembers Brauch.
Er ist nicht sehr beliebt -
doch die Natur siegt,
bald erwacht sie wieder
und der November ist der Verlierer.
Karin Obendorfer
Das klare Wasser zeigt dir dein Spiegelbild –
es ist unbändig und wild.
Du läßt nicht zu den Gedanken der Reinheit,
der Weg dahin ist sehr weit.
Du läßt nicht zu das Gefühl der Ehrlichkeit,
dazu bist du nicht bereit.
Du läßt nicht zu das Erleben einer Freundschaft,
das ist rätselhaft.
Du läßt nicht zu, daß Liebe einkehrt in dein Herz.
Das nicht Zulassen – ein endloser Schmerz!
Karin Obendorfer
Blinde Liebe
Vor dir zerbricht mein ganzer Wagemut,
All meine Keckheit schmiegt sich vor dich hin
Und birgt, wie ein gezähmter Löwe tut,
Ihr starkes Haupt an deinen weichen Knien.
Wodurch bezwingst du mich? Ist es dein Blick?
Dein Lächeln? Ach, ich weiß nicht, was es ist!
Vielleicht ist, dir zu folgen, mein Geschick,
Weil du die Stärkere an Liebe bist!
Vielleicht ist meine Schwäche deine Kraft!
Vielleicht sogar bist du dir scheu bewußt
Nur deiner eignen tiefen Leidenschaft,
Und, daß du...
A. de Nora (Pseudonym für Anton Alfred Noder)
Heute ist Tag der Lyrik
O Knute, o Knute!
Die schwingen man tute,
Machst Wirkung sehr gute
Bei frevelndem Mute.
Was dem Kinde die Rute,
Ist dem Volke die Knute;
Du stillest die Wute
Rebellischem Blute.
Das alles, das tute
Die Knute, die Knute!
Wehalb ich mich spute,
In einer Minute
Poetischer Glute
Schrieb ich an die Knute
Dies Gedichtchen, dies gute.
Johann Nepomuk Nestroy
Heilige Nacht
Geboren ward zu Bethlehem
ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
Und ist es auch schon lange her,
seit's in der Krippe lag,
so freun sich doch die Menschen sehr
bis auf den heutigen Tag.
Minister und Agrarier
Bourgeois und Proletarier –
es feiert jeder Arier
zu gleicher Zeit und überall
die Christgeburt im Rindviehstall.
(Das Volk allein, dem es geschah,
das feiert lieber Chanukka.)
Erich Mühsam
Pastoralerfahrung
Meine guten Bauern freuen mich sehr;
Eine »scharfe Predigt« ist ihr Begehr.
Und wenn man mir es nicht verdenkt,
Sag' ich, wie das zusammenhängt.
Sonnabend, wohl nach elfe spat,
Im Garten stehlen sie mir den Salat;
In der Morgenkirch' mit guter Ruh'
Erwarten sie den Essig dazu;
Der Predigt Schluß fein linde sei:
Sie wollen gern auch Öl dabei.
Eduard Mörike
O wüßtest du, wie sehr dein Antlitz sich
Verändert, wenn du mitten in dem Blick,
Dem stillen reinen, der dich mir vereint,
Dich innerlich verlierst und von mir kehrst!
Wie eine Landschaft, die noch eben hell,
Bewölkt es sich und schließt mich von dir aus.
Dann warte ich. Dann warte schweigend ich
Oft lange. Und wär ich ein Mensch wie du,
Mich tötete verschmähter Liebe Pein.
So aber gab unendliche Geduld
Der Vater mir und unerschütterlich
Erwarte ich dich, wann du immer kommst.
Und diesen...
Christian Morgenstern
Es kommen zu Palmström heute
die wirklich praktischen Leute,
die wirklich auf allen zehn Zehen
im wirklichen Leben stehen.
Sie klopfen ihm auf den Rücken
und sind in sehr vielen Stücken -
so sagen sie - ganz die Seinen.
Doch wer, der mit beiden Beinen
im wirklichen Leben stände,
der wüsste doch und befände,
wie viel, so gut auch der Wille,
rein idealistische Grille.
Sie schütteln besorgt die Köpfe
und drehn ihm vom Rock die Knöpfe
und hoffen zu postulieren:
er wird auch einer der Ihren,
ein...
Christian Morgenstern
Nun bin ich an des Lebens Ziel gelangt,
durch Sturmeswogen und auf schwankem Kahn
zum Hafen: was ich falsch, was fromm getan:
von allem wird hier Rechenschaft verlangt.
Wie sehr mir nun vor der Erkenntnis bangt,
daß mir die Kunst Idol und einziger Wahn,
daß ich aus Irrtum ihr nur untertan
und dem, was falschem Wunsch der Mensch verdankt.
Verliebtes Sehnen eitler Lebenslust,
was hilfst du nun dem Nachbarn zweier Tode,
jener dem Leib, dieser dem Geist zum Harme?
Nich Meißeln und nicht Malen...
Michelangelo