Nichte Zitate (Seite 265)
Weiterleben
Nicht, daß du ihm ein prächtig Denkmal baust,
mit tausend Tränen seine Gruft betaust,
und heimlich hoffst, daß euch der Tod vereint,
nicht dadurch ehrst du den gestorbnen Freund.
Wenn du das Werk, das ihm nicht mehr gelang,
bis an sein Ende führst mit Treu und Dank,
wenn deine Hand die Blütenkrone hegt
des Baumes, den er knospend einst gepflegt,
wenn dem, was er geliebt, dein Herz erglüht,
so daß in dir sein Wesen nochmals blüht,
so daß du lebst und schaffst in seinem Geist:
das...
Clara Müller-Jahnke
Ich bin ein Pilger ...
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.
Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.
Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.
Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich...
Erich Mühsam
Rede nicht von harter Jugend,
Nicht wie du entbehrt das Glück!
Schaue nicht mit feuchtem Auge
In die trübe Zeit zurück!
Hätten wir denn tragen lernen,
Beten lernen in der Not,
Hoffen lernen, glauben lernen,
Lieben lernen bis zum Tod?
Drum laßt uns mit Rosen schmücken
Unsrer Kindheit frühes Grab:
Selig, wem die Hand von oben
Früh die heil'gen Thränen gab! –
Salomon Hermann Mosenthal
Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
laß dies Herz alleine haben
seine Wonne, seine Pein!
Was ich traure, weiß ich nicht:
Es ist unbekanntes Wehe;
immerdar durch Tränen sehe
ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewußt,
und die helle Freude zücket
durch die Schwere, so mich drücket,
wonniglich in meiner Brust.
Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
laß dies Herz alleine haben
seine Wonne, seine Pein!
Eduard Mörike
Kannst dich nicht versenken?
Läßt dich Welt nicht leer?
Kannst dich nicht entlenken
All der Dinge Meer?
Ist in Dem zu ruhen,
Draus dein Wesen sprang,
Deinen Wanderschuhen
Gar kein lieber Gang? –
Wenn der Tag beschlossen,
Sei, mein Geist, versenkt,
Sei, mein Herz, ergossen
In den, der dich denkt.
Christian Morgenstern
Inmitten der großen Stadt
Sieh, nun ist Nacht!
Der Großstadt lautes Reich
Durchwandert ungehört
Der dunkle Fluß.
Sein stilles Antlitz
Weiß um tausend Sterne.
Und deine</em> Seele, Menschenkind? ...
Bist du nicht Spiel und Spiegel
Irrer Funken,
Die gestern wurden,
Morgen zu vergehn, –
Verlorst
In deiner kleinen Lust und Pein
Du nicht das Firmament,
Darin du wohnst, –
Hast du nicht selber dich
Vergessen,
<em>Mensch,</em>
Und weiß dein Antlitz doch
Um Ewigkeit?
Christian Morgenstern
Genug oft
Genug oft, daß zwei Menschen sich berühren,
– nicht leiblich, geistig nur – daß sie sich sehn</em>,
daß sie sich einmal gegenüberstehn –
um sich danach vielleicht auf immer zu verlieren.
Genug oft, daß ein Lächeln Zweier Seelen
vermählt – oh nicht vermählt! nur dies: sie führt,
so vor einander schweigend und erschüttert,
daß ihnen alle Wort' und Wünsche fehlen,
und jede, unaussprechlich angerührt,
nur tief vom Zittern der verwandten zittert.
Der kann von Liebe nicht reden,
dem sie...
Christian Morgenstern
Verantwortung
Du machst es dir noch leicht.
Du tust Verzicht
und gibst der Welt
dann Trauer zum Entgelt:
sie muß es büßen,
was du nicht erreicht.
Verzicht' und traure,
aber klage nicht;
dein Schmerz durchschaure
Leben und Gedicht, –
doch bau er sie nicht auf!
Das fall' dem zu,
der über...
Christian Morgenstern
Der Engel
Wo bist du hin? Noch eben warst du da -
Was wandtest du dich wieder abwärts, wehe,
nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,
und warst mir jüngst doch noch so innig nah.
Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
aus der die Schauer der Verwesung hauchen,
ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,
das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?
Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
in eure fürchterlichen Daseinsstufen...
Doch ich bin's nicht. Nur wie verworrnes Rufen
erschreckt das...
Christian Morgenstern
Die Schildkrökröte
Ich bin nun tausend Jahre alt
Und werde täglich älter;
Der Gotenkönig Theobald
Erzog mich im Behälter.
Seitdem ist mancherlei geschehn,
Doch weiß ich nichts davon;
Zur Zeit, da läßt für Geld mich sehn
Ein Kaufmann zu Heilbronn.
Ich kenne nicht des Todes Bild
Und nicht des Sterbens Nöte:
Ich bin die Schild ich bin die Schild
Ich bin die Schild krö kröte.
Christian Morgenstern
Das Nasobêm
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobêm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobêm.
Christian Morgenstern
Mein Jahr
Nicht vom letzten Schlittengleise
Bis zum neuen Flockentraum
Zähl' ich auf der Lebensreise
Den erfüllten Jahresraum.
Nicht vom ersten frischen Singen,
Das im Wald geboren ist,
Bis die Zweige wieder klingen,
Dauert mir die Jahresfrist.
Von der Kelter nicht zur Kelter
Dreht sich mir des Jahres Schwung,
Nein, in Flammen werd' ich älter
Und in Flammen wieder jung.
Von dem ersten Blitze heuer,
Der aus dunkler Wolke sprang,
Bis zu neuem Himmelsfeuer
Rechn' ich meinen Jahresgang.
Conrad Ferdinand Meyer
Von Berufs-Kindern
Mancher Vater hat 'nen Sohn,
der ist aus der Art geschlagen,
geht zur Schule, schon seit 24 Jahren,
Vater darf das alles zahlen.
Immerhin kann er sich's leisten,
weil die Eltern nie verreisten.
Sparten für die Zukunft ein,
für den Sohn und's Mägdelein.
Vater hat auch noch 'ne Tochter,
wie schon immer eine mocht er,
die Arbeit mag sie nicht anfassen,
lieber Vaters Geld verprassen.
Nun sind die Eltern alt und müde,
können sich nicht mehr so rühren.
Denken, ach, wie schön es...
Horst Reiner Menzel