Müde Zitate (Seite 57)
Abschied vom blauen Rauch
Heut nachts erwacht' ich jäh, das Herz stand still!
Dann aber hub ein Hämmern an, ein Pochen,
So ungefüg, als würde eingebrochen
Im Purpurschrein des Lebens. – Wie Gott will.
Es meint' der Arzt zu mir: Du rauchst zuviel,
Solch sinnlos Fröhnen bleibt nicht ungerochen! –
Und hat mir lange weise zugesprochen
Von meines Daseins Pflicht und ernstem Ziel.
Du blauer Rauch, berauschendes Umfließen,
Aus dem mir Ahnung und Gedanke quillt,
So muß ich deiner spärlicher...
Anton Wildgans
Jahres-Ende
Du greises Jahr: du eilst, dem Ziele zu
Rascher und rascher, sehnst dich nach der Ruh
In einem tiefen grenzenlosen Tod.
Doch sieh: ich eile schneller, nach dem Rot
Des neuen Morgens gierig, dir voraus.
O komm! Hinübergeh! Lösch aus, lösch aus!
Gezeichnetes, Beladenes, befleckt
Mit großer Müdigkeit, mit Schmerz bedeckt –
Vergeh – ich werde! Stirb – und ich vermag
Aufzuerstehn: o neuer, reinster Tag!
Maria Luise Weissmann
Der Gorilla
Er atmet ihre Schwüle längst nicht mehr,
Doch lastet seinem Nacken immer noch der Traum der großen Seen
Und läßt ihn tief zum Sand gebückt und schwer
Im Takt zur Wiederkehr der Eisenstäbe gehn.
Er möchte wohl der Glanz der Papageien sein,
Das Duften der Reseden und der Walzerklang,
Doch bricht kein Strahl den trüben Spiegel seines Auges ein:
Die Hand trägt still gefaltet den beträumten Gang
Dem fremden Leuchten still und fremd vorbei.
Manchmal, im Schrei,
Der fernher trifft, fühlt...
Maria Luise Weissmann
Tausendmale werd ich schlafen gehen,
Wandrer ich, so müd und lebenssatt;
Tausendmale werd ich auferstehen,
ich Verklärter in der seligen Stadt.
Tausendmale werde ich noch trinken,
Wandrer ich, aus des Vergessens Strom;
Tausendmale werd ich niedersinken,
ich Verklärter, in dem seligen Dom.
Tausendmale werd ich von der Erden
Abschied nehmen durch das finstre Tor;
Tausendmale werd ich selig werden,
ich Verklärter, in dem seligen Chor.
Christian Wagner
Es schlummert mein Kind.
Palmen von Bethlehem,
Wie ihr erbrauset,
Wie ihr im Winde
Zornig heut sauset;
Wandle in Säuseln
Dein Zürnen, o Wind,
Rauscht nicht ihr Zweige,
Es schlummert mein Kind.
Ach, nach des Schlummers
Tröstender Labe
Sehnte sich, müder
Vom Weinen, der Knabe;
Sorge der Erde
Im Traume zerrinnt,
Rauscht nicht, ihr Zweige,
Es schlummert mein Kind.
Kälte droht grimmig
Den Knaben zu werfen,
Womit nur kann ich
Schützend ihn decken?
Schirmende Engel
Umschwebet ihn lind.
Haltet die...
Carl Ulrici
Poetenbegräbnis
Abseits des Weges grub man ihn ein,
Zwei Männer standen am Schragen,
Ohn Sing und Sang im Tannenschrein
Hat man ihn fortgetragen.
Hoch war sein Dach in lichtleerer Welt,
Sein Tun: nur nächtliches Schreiben.
Er war ein Dichter und ohne Geld:
"Was soll so nutzloses Treiben?"
Denn niemand weiß, wie ihm glühte der Kopf,
Wenn die Seele in Flammen gestanden:
"Er war ein seltsam-verrückter Tropf
Und wurde daran zuschanden."
Und keines Menschen Mund hat geklagt
Ob unverstandenem...
Wilhelm Uhlmann-Bixterheide
In den Nachmittag geflüstert
Sonne, herbstlich dünn und zag,
Und das Obst fällt von den Bäumen.
Stille wohnt in blauen Räumen
Einen langen Nachmittag.
Sterbeklänge von Metall;
Und ein weißes Tier bricht nieder.
Brauner Mädchen rauhe Lieder
Sind verweht im Blätterfall.
Stirne Gottes Farben träumt,
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.
Schatten drehen sich am Hügel
Von Verwesung schwarz umsäumt.
Dämmerung voll Ruh und Wein;
traurige Gitarren rinnen.
Und zur milden Lampe drinnen
Kehrst du wie im...
Georg Trakl
Romanze zur Nacht
Einsamer unterm Sternenzelt
Geht durch die stille Mitternacht.
Der Knab aus Träumen wirr erwacht,
Sein Antlitz grau im Mond verfällt.
Die Närrin weint mit offnem Haar
Am Fenster, das vergittert starrt.
Im Teich vorbei auf süßer Fahrt
Ziehn Liebende sehr wunderbar.
Der Mörder lächelt bleich im Wein,
Die Kranken Todesgrausen packt.
Die Nonne betet wund und nackt
Vor des Heilands Kreuzespein.
Die Mutter leis' im Schlafe singt.
Sehr friedlich schaut zur Nacht das Kind
Mit Augen,...
Georg Trakl
Alptraum.
Zwanzigtausend Augen blicken auf mich herab,
erdrücken mich, mit ihrer bösen Kritik.
Starke Arme des Selbstzweifels würgen mich,
nehmen mir jede Luft zu einer Rechtfertigung.
Die Scham entreißt mir schmerzhaft ein Bein,
damit ich ihr nicht entfliehen kann.
Höhnisch grinsend zeigt mir der Haß ein Spiegelbild
und der Stolz hält den Kopf,
damit ich nicht wegblicken kann.
Ekel windet sich schlangengleich
um meinen Körper.
Von innen reißt mir die Angst
genüßlich schmatzend...
Nico Szaba
Oft stellt sich jene Zeit mir dar,
wo ich ein frohes Kind noch war
und oft am knisternden Kamin
mich wiegte auf des Vaters Knien.
Und wenn der Abend still genaht,
die Mutter um ein Märchlein bat,
wo sie dann freundlich ausgestellt
vor meinem Blick die Zauberwelt:
Mit Bäumen, welche ewig grünen,
mit Blumen, welche nie verblüh'n,
mit Schlössern von Diamantenstein,
mit Rittern, Riesen, Zwergen, Fei'n.
Julius Karl Reinhold Sturm
Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt
Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt
Und daß ich endlich scheiden muß,
Daß endlich doch das letzte Lied
Und endlich kommt der letzte Kuß.
Noch hing ich fest an deinem Mund
In schmerzlich bangender Begier;
Du gibst der Jugend letzten Kuß,
Die letzte Rose gibst du mir.
Du schenkst aus jenem Zauberkelch
Den letzten goldnen Trunk mir ein;
Du bist aus jener Märchenwelt
Mein allerletzter Abendschein.
Am Himmel steht der letzte Stern,
O halte nicht dein Herz...
Theodor Storm
Du willst es nicht in Worten sagen,
Doch legst dus brennend Mund auf Mund,
Und deiner Pulse tiefes Schlagen
Tut liebliches Geheimnis kund.
Du fliehst vor mir, du scheue Taube,
Und drückst dich fest an meine Brust,
Du bist der Liebe schon zum Raube
Und bist dir kaum des Worts bewußt.
Du biegst den schlanken Leib mir ferne,
Indes dein roter Mund mich küßt;
Behalten möchtest du dich gerne,
Da du doch ganz verloren bist.
Du fühlst, wir können nicht verzichten;
Warum zu geben scheust du noch?
Du...
Theodor Storm
Begrabe nur dein Liebstes! Dennoch gilt's
Nun weiterleben; – und im Drang des Tages,
Dein Ich behauptend, stehst bald wieder du.
– So jüngst im Kreis der Freunde war es, wo
Hinreißend' Wort zu lauter Rede schwoll;
Und nicht der Stillsten einer war ich selbst.
Der Wein schoß Perlen im kristallnen Glas,
Und in den Schläfen hämmerte das Blut; –
Da plötzlich in dem hellen Tosen hört ich
– Nicht Täuschung war's, doch wunderbar zu sagen –
Aus weiter Ferne hört ich eine Stille;
Und einer Stimme...
Theodor Storm
Meeresstrand
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
Theodor Storm