Morgens Zitate (Seite 20)
Leben
Schaumgekrönter Überschwang,
Roter Blütenrausch –
Melancholischer Gesang,
Welkes Blattgerausch.
Silberheller Jubelchor,
Jauchzen Berg zu Tal –
Stilles Schluchzen, schwarzer Flor,
Schütternder Choral.
Mir ein süßer Herzenswahn,
Dir ein bittrer Hohn –
Heute winkt ein Kanaan,
Morgen ist's entflohn ...
Karl Henckell
In meiner Erinnrung erblühen
Die Bilder, die längst verwittert –
Was ist in deiner Stimme,
Das mich so tief erschüttert?
Sag nicht, daß du mich liebst!
Ich weiß, das Schönste auf Erden,
Der Frühling und die Liebe,
Es muß zuschanden werden.
Sag nicht, daß du mich liebst!
Und küsse nur und schweige,
Und lächle, wenn ich dir morgen
Die welken Rosen zeige.
Heinrich Heine
Das macht den Menschen glücklich,
Das macht den Menschen matt,
Wenn er drei sehr schöne Geliebte
Und nur zwei Beine hat.
Der einen lauf ich des Morgens,
Der andern des Abends nach;
Die dritte kommt zu mir des Mittags
Wohl unter mein eignes Dach.
Lebt wohl, ihr drei Geliebten,
Ich hab zwei Beine nur,
Ich will in ländlicher Stille
Genießen die schöne Natur.
Heinrich Heine
Ein Weib
Sie hatten sich beide so herzlich lieb,
Spitzbübin war sie, er war ein Dieb.
Wenn er Schelmenstreiche machte,
Sie warf sich aufs Bette und lachte.
Der Tag verging in Freud und Lust,
Des Nachts lag sie an seiner Brust.
Als man ins Gefängnis ihn brachte,
Sie stand am Fenster und lachte.
Er ließ ihr sagen: "O komm zu mir,
Ich sehne mich so sehr nach dir,
Ich rufe nach dir, ich schmachte!" –
Sie schüttelt' das Haupt und lachte.
Um sechse des Morgens ward er gehenkt,
Um sieben ward er ins...
Heinrich Heine
Ich halte ihr die Augen zu...
Ich halte ihr die Augen zu
Und küß sie auf den Mund;
Nun läßt sie mich nicht mehr in Ruh,
Sie fragt mich um den Grund.
Von Abend spät bis Morgens früh,
Sie fragt zu jeder Stund:
Was hältst du mir die Augen zu,
Wenn du mir küßt den Mund?
Ich sag ihr nicht, weshalb ich's tu,
Weiß selber nicht den Grund –
Ich halte ihr die Augen zu
Und küß ihr auf den Mund.
Heinrich Heine
Höchstes Gebot
Hab Achtung vor dem Menschenbild
Und denke, daß, wie auch verborgen,
Darin für irgendeinen Morgen
Der Keim zu allem Höchsten schwillt!
Hab Achtung vor dem Menschenbild
Und denke, daß, wie tief er stecke,
Ein Hauch des Lebens, der ihn wecke,
Vielleicht aus deiner Seele quillt!
Hab Achtung vor dem Menschenbild!
Die Ewigkeit hat eine Stunde,
Wo jegliches dir eine Wunde
Und wenn nicht die, ein Sehnen stillt!
Christian Friedrich Hebbel
So zu mir sprach Abdallah, der Kurde:
"Wisse du, warum dein Freund ich wurde.
Weil du hörst und schweigst, wenn Andre sprechen,
Weil du singest, wenn die Andern zechen.
Sahst du Moslems im Gebete liegen,
Hast du, Franke, ehrfurchtsvoll geschwiegen.
Schmerzlich krank hast du nur Nachts geklaget,
Morgens stiegst zu Pferd du unverzaget.
Nie das Gestern hört ich dich beklagen,
Doch du redest schön von künft'gen Tagen."
Moritz Hartmann
Die Tränen
Seid ihr immer da, ihr Tränen,
treu der Freude, treu dem Schmerz.
Heut gelockt von Liebestönen,
Morgen schmelzend Hasses Erz?
Oder muß nur ich so weinen,
weil mein Herz so töricht ist,
daß es um den einzig Einen
Alles Glück der Welt vergißt?
Tränen, die ins Meer versinken,
Also spricht der Sage Mund,
Werden einst als Perlen blinken
Auf dem dunklen Wellengrund.
Gram wird einst sich mild verklären
Über'm finstern Tal der Zeit,
Und so fließt denn meine Zähren,
Fließt...
Ida Gräfin von Hahn-Hahn