Menschen Zitate (Seite 120)
Der Wegweiser
Was vermeid' ich denn die Wege,
wo die andern Wandrer gehn,
suche mir versteckte Stege
durch verschneite Felsenhöhn?
Habe ja doch nichts begangen,
daß ich Menschen sollte scheun –
welch ein törichtes Verlangen
treibt mich in die Wüstenein?
Weiser stehen auf den Straßen,
weisen auf die Städte zu,
und ich wandre sonder Maßen,
ohne Ruh' und suche Ruh'.
Einen Weiser seh' ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Straße muß ich gehen,
die noch keiner ging...
Wilhelm Müller
Dies ist der Erde Nacht,
Und Regen fällt hernieder.
Ich habe meine Lieder
Und Taten nicht vollbracht.
Die Welt ist voll Verdruß.
Kein Stern scheint meinem Wege.
Wenn ich mich niederlege,
Erwartet mit kein Kuß.
Rings schlafen weit im Kreis
Die Menschen frei von Qualen.
Die ersten Sonnenstrahlen
Erwecken Not und Schweiß.
Vielleicht zeigt mir ein Traum
Mein Glück und das der Erde.
Ob er je Wahrheit werde, –
Ich wag's zu hoffen kaum.
Erich Mühsam
Heilige Nacht
Geboren ward zu Bethlehem
ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
Und ist es auch schon lange her,
seit's in der Krippe lag,
so freun sich doch die Menschen sehr
bis auf den heutigen Tag.
Minister und Agrarier
Bourgeois und Proletarier –
es feiert jeder Arier
zu gleicher Zeit und überall
die Christgeburt im Rindviehstall.
(Das Volk allein, dem es geschah,
das feiert lieber Chanukka.)
Erich Mühsam
Mein Gefängnis
Auf dem Meer tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik.
Aus dem blauen Himmel zittert
Sehnsucht, die die Herzen stillt.
Meine Luke ist vergittert
und ihr dickes Glas gerillt.
Liebe tupft mit bleichen, leisen
Fingern an mein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal.
Tausend Rätsel, tausend Fragen
machen manchen Menschen dumm.
Ich hab eine nur zu tragen:
Warum sitz ich hier?...
Erich Mühsam
An Margareta
Ich habe nicht gewußt, daß so viel Liebe
in einem Menschen sein kann – und zu mir.
Zwar – ich bin ungerecht. Und doch – es hat
mich nimmermehr zuvor so überwältigt.
So will ich sagen: Wissen um die Liebe,
das tat ich stets, und war auch wohl ihr Gast,
so wie ein Gast von Heim und Herdglut weiß.
Durch dich erst aber glaub' ich an die Liebe.
Selbst (und das ist das schwerste) an die meine;
an meine Fähigkeit zu jener letzten
Ver-einigung des ewig sonst Ent-zweiten.
Nun nicht mehr...
Christian Morgenstern
Wasserfall bei Nacht
Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe.
Lautlos schlummern Menschen, Tiere.
Nur des Gipfels Gletschertruhe
schüttet talwärts ihre
Wasser.
Geisterstille, Geisterfülle,
öffnet eure Himmelsschranke!
Bleibe schlafend, liebe Hülle,
schwebt, Empfindung und Gedanke,
aufwärts!
Aufwärts in die Geisterhallen
taste dich, mein höher Wesen!
Laß des Leibes Schleier fallen,
koste, seingenesen,
Freiheit!
Christian Morgenstern
Licht ist Liebe. Sonnen-Weben,
Liebes-Strahlung einer Welt
schöpferischer Wesenheiten –
die durch unerhörte Zeiten
uns an ihrem Herzen hält,
und die uns zuletzt gegeben
ihren höchsten Geist in eines
Menschen Hülle während dreier
Jahre: da Er kam in Seines
Vaters Erbteil – nun der Erde
innerlichstes Himmelsfeuer:
daß auch sie einst Sonne werde.
Christian Morgenstern
Genug oft
Genug oft, daß zwei Menschen sich berühren,
– nicht leiblich, geistig nur – daß sie sich sehn</em>,
daß sie sich einmal gegenüberstehn –
um sich danach vielleicht auf immer zu verlieren.
Genug oft, daß ein Lächeln Zweier Seelen
vermählt – oh nicht vermählt! nur dies: sie führt,
so vor einander schweigend und erschüttert,
daß ihnen alle Wort' und Wünsche fehlen,
und jede, unaussprechlich angerührt,
nur tief vom Zittern der verwandten zittert.
Der kann von Liebe nicht reden,
dem sie...
Christian Morgenstern
Schweigen
O Schweigen, Schweigen, komm, du letzter Schluß,
da mitzuteilen Haß nur weckt und Fehde.
Ergreif an ihrer Wurzel meine Rede,
laß einwärts sprossen, was denn sprossen muß.
Ich will dich tragen, wohin niemand kommt,
in Wälder, wo nur Tiere uns erfahren, –
bis du vielleicht nach vielen, vielen Jahren
das Wort mir schenkst, das mir und andern frommt.
Dann laß mich noch einmal vor Menschen stehn
und ihnen dieses eine Tiefste sagen –
und dich dann wieder in die Wälder tragen
und wie ein...
Christian Morgenstern
Auf dem Strome
Am Himmel der Wolken
Erdunkelnder Kranz …
Auf schauerndem Strome
Metallischer Glanz …
Die Wälder zuseiten
So finster und tot …
Und in flüsterndem Gleiten
Vorüber mein Boot …
Ein Schrei aus der Ferne –
Dann still wie zuvor …
Wie weit sich von Menschen
Mein Leben verlor! …
Eine Welle läuft leise
Schon lang nebenher,
Sie denkt wohl, ich reise
Hinunter zum Meer …
Ja, ich reise, ich reise,
Weiß selbst nicht, wohin
Immer weiter und weiter
Verlockt mich mein Sinn …
Schon kündet ein...
Christian Morgenstern