Macht Zitate (Seite 53)
Herbst
Eine trübe, kaltfeuchte Wagenspur:
Das ist die herbstliche Natur.
Sie hat geleuchtet, geduftet und trug
Ihre Früchte. – Nun ausgeglichen,
Hat sie vom Kämpfen und Wachsen genug. -
Scheint's nicht, als wäre alles Betrug
Gewesen, was ihr entwichen?
Das Händesinken in den Schoß,
Das Unbunte und Leise,
Das ist so schön, daß es wiederjung
Beginnen kann, wenn Erinnerung
Es nicht klein macht, sondern weise.
Ein Nebel blaut über das Blätterbraun,
Das zwischen den Bäumen den Boden bedeckt.
Wenn...
Joachim Ringelnatz
Snuhigi-Song
Der erste Tag, der machte es:
Da las ich vor. Rings lachte es.
Graf Mongschupi,
Wie schön sind Sie!
Mein lieber Freund in Dotrto,
Herr Börries, war ebenso.
Mein Gott, wie ist der Mensch gleich froh,
Wenn er ein wenig voll is'.
Graf Mongpischu
Wie schön pist tu,
Heil Dir! Sis mihi mollis.
Joachim Ringelnatz
Arm Kräutchen
Ein Sauerampfer auf dem Damm
stand zwischen Bahngeleisen,
machte vor jedem D-Zug stramm,
sah viele Menschen reisen.
Und stand verstaubt und schluckte Qualm,
schwindsüchtig und verloren,
ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
mit Augen, Herz und Ohren.
Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
sah Eisenbahn um Eisenbahn,
sah niemals einen Dampfer.
Joachim Ringelnatz
Morgenstund hat Gold im Mund
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich ”Euer Gnaden.“
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.
Joachim Ringelnatz
Was ist das Leben, wenn die Ehre fehlt,
Wenn man dem Mann die eig'ne Achtung raubt
Und ihn zum Vorwurf für sich selber macht?
Genommen hast du ihm jedweden Wert,
Des Geistes Würde und der Seele Flug.
Wenn du dem Aar die Schwingen abgebrochen,
Muß er im Staube der Gemeinheit kriechen,
Der von der Erde sich zum Himmel hob.
Max Ring
Volksweise
Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
macht sie es schwer.
Wenn ein Kind sacht
singt beim Kartoffeljäten,
klingt dir sein Lied im späten
Traum noch der Nacht.
Magst du auch sein
weit über Land gefahren,
fällt es dir doch nach Jahren
stets wieder ein.
Rainer Maria Rilke
Städtische Sommernacht
Unten macht sich aller Abend grauer,
und das ist schon Nacht, was da als lauer
Lappen sich um die Laternen hängt.
Aber höher, plötzlich ungenauer,
wird die leere leichte Feuermauer
eines Hinterhauses in die Schauer
einer Nacht hinaufgedrängt,
welche Vollmond hat und nichts als Mond.
Und dann gleitet oben eine Weite
weiter, welche heil ist und geschont,
und die Fenster an der ganzen Seite
werden weiß und unbewohnt.
Rainer Maria Rilke
Brief VIII
Berühre ruhig
Berühre ruhig mit dem Zauberstabe
das Ungenaue, das du um mich scharst,
und du wirst wieder wissen, wie du Knabe
und in der Dinge Freundschaft warst.
Berühre nochmals, und es wird sich zeigen,
daß dich die Liebende empfing,
weil aller Glanz, den Himmlische verschweigen,
aus deinem Neigen in sie überging.
Ein drittes Mal berühr, um zu erfahren,
daß Macht sich giebt und sich entzieht,
und nun sei rein in deinem Offenbaren
und sage dienend, was geschieht.
Rainer Maria Rilke
Wie wir auch alles in der Nacht benannten, –
nicht unser Name macht die Dinge groß:
es kommen Pfeile, stark und atemlos,
aus Bogen, welche sich zu Spielen spannten.
Und so Pilger, welche unvermutet,
da eines letzten Vorhangs Falten fielen,
den Altar schaun, darauf der Becher blutet,
und nicht mehr rückwärts können aus dem Heile:
so in die Kreise stürzen sich die Pfeile
und stehen zitternd mitten in den Zielen.
Rainer Maria Rilke
Die Engel
Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.
Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.
Rainer Maria Rilke
Lied (Du nur, Du)
Du, der ich's nicht sage, daß ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist du's, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle...
Rainer Maria Rilke
Willst du Macht haben?
Dann gebe deine Informationen niemandem weiter.
Willst du Klugheit?
Dann zähle jedes Wort.
Willst du Weisheit?
Dann frage nicht mich, wie du sie erlangen kannst!
Willst du Brot?
Dann sage es.
Willst du Hoffnung – du hast sie schon.
Willst du Liebe?
Dann bist du auf dem richtigen Weg.
Wolfgang J. Reus