Lesen Zitate (Seite 7)
Mein vertrauter Traum
Ich träume wieder von der Unbekannten,
Die schon so oft im Traum vor mir gestanden.
Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar
Mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.
Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen
Und kann in meinem dunklen Herzen lesen.
Du fragst mich: Ist sie blond? Ich weiß es nicht.
Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.
Und wie sie heißt? Ich weiß es nicht. Doch es klingt
Ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt –
Wie eines Name, den du Liebling...
Paul Verlaine
Liebe Frau
Sie sagen,
meine Texte wären
nicht schlecht
etwas unreif noch …
Es käme nur einmal Gott vor
und kaum Sterben und Tod.
Es sei halt alles noch etwas seicht
und man würde halt merken,
daß ich in meinem jungen Leben
noch nichts erlebt hätte!
Na danke!
Mir reichts!
Liebe Frau,
lassen Sie mich ihre Gedichte lesen,
die da handeln von fallendem Herbstlaub
und sterbenden Astern.
Nicht schlecht!
werde ich sagen …
aber man merkt das Alter.
Das Leben ist halt schon
eine ganze Weile her.
Ute Maria Seemann
Der Beipackzettel
Der Beipackzettel dideldum
bringt mich vor lauter Streß noch um:
Dreihundert Zeilen, kleingedruckt,
heißt lesen, bis der Sehnerv zuckt.
Der Beipackzettel dideldie
als fromme Pharmaliturgie
schreibt vor, erläutern und bewirbt,
was mir den Appetit verdirbt.
E i n Beipackzettel dideldei
war besser noch als die Arznei!
Nachdem ich ihn gelesen,
bin ich vor Angst genesen.
Fritz-J. Schaarschuh
Ein Buch ist jedes Mädchenherz…
Ein Buch ist jedes Mädchenherz
Mit gar geweihten Lettern
Die meisten Männer lesen's nicht,
Sie wollen bloß drin blättern.
Sie schlagen wie der Wirbelwind
Die Blätter um in Reihe,
Verstehen nicht ein Sprüchlein drin,
Nicht einen Vers voll Weihe.
Ich aber hab ihr Herzensbuch
Mit Andacht ganz durchlesen
Und bin nach jedem neuen Blatt
Noch zärtlicher gewesen.
Gottlieb Moritz Saphir
Werbung im Internet
Der Mitgliederschwund
in dem Jägerverband,
war wenig erfreulich
und sehr eklatant
Da fiel jüngst dem Vorstand
das Internet ein
und man macht dort jetzt Werbung
für diesen Verein
Da ist nun zu lesen:
Komm'se in's Revier
und nach jeder Pirsch
gibt es Bratwurst und Bier
Es ist unser Wunsch,
unser Motto für heute,
lernen Sie schießen
und treffen Sie Leute!
Edmund Ruhenstroth
Kammer-Kummer
Es äugt ein Wunsch aus mir nach der Uhr.
Der lauscht auf Briefträgerschritte
Und murmelt unaufhörlich nur
Die Worte "bitte, bitte".
Sich schämend richtet sein Gebet
Die Ohren nach der Klingel.
Ein Brief soll läuten. Darauf steht:
"An Herrn Joachim Ringel –"
Ha! Klingelt schon! Und kommt ein Brief. –
Nicht der, den ich wollte lesen.
Einschlafende Hoffnung atmet tief,
Träumt ab, was niemals gewesen.
Joachim Ringelnatz
Avant-Propos
Ich kann mein Buch doch nennen, wie ich will
Und orthographisch nach Belieben schreiben!
Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben.
Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil
Und jeden andern Gegenstand bedichten,
Darf ich doch ungestört daheim
Auch mein Bedürfnis, wie mir's paßt, verrichten.
Was könnte mich zu Geist und reinem Reim,
Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? -
Bescheidenheit? – captatio – oho!"
Und wer mich haßt, – sie mögen mich nur hassen!
Ich darf mich...
Joachim Ringelnatz
Marter in Bielefeld
Es war in Bielefeld so bitter kalt.
Ich sah ein Weib, das nichts als eine knappe
Hemdhose trug. Daß ich erschauerte
Und ihren kalten Zustand heiß bedauerte.
Denn sie war nur Attrappe – Fleisch aus Pappe.
Ich wäre gar zu gern zu zweit gewesen.
Nun stand ich vor der reizenden Gestalt,
Mußte herabgesetzte Preise lesen,
Und ach, die Ladenscheibe war so kalt.
Der Frost entlockte meiner Nase Tränen.
Die Dame schwieg. Die Sonne hat gelacht.
In mir war qualvoll irgendwas...
Joachim Ringelnatz
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich...
Joachim Ringelnatz
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter...
Rainer Maria Rilke
Vorsatz
Ich will's dir nimmer sagen,
wie ich so lieb dich hab';
im Herzen will ich's still tragen,
will stumm sein wie ein Grab.
Kein Lied soll dir's gestehen,
soll flehen um mein Glück!
Du selber sollst es sehen,
du selbst in meinem Blick.
Und kannst du es nicht lesen,
was dort so zärtlich spricht,
so ist's ein Traum gewesen:
Dem Träumer zürne nicht.
Robert Eduard Prutz
Wer keinen Frühling hat
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Wer schweigt, dem tönt kein Echo hier auf Erden!
Weß Herz nicht dichtet, der faßt kein Gedicht,
Und wer nicht liebt, dem wird nicht Liebe werden.
Was ist der Geist, der nie zum Geiste spricht,
Der selbstgefällig will in sich verwesen?
Was ist ein Gemüt, das nie die Rinde bricht?
Was eine Schrift, die nicht und nie zu lesen?
Es findet jeder Geist verwandte Geister!
Kein Herz, das einsam ohne Liebe bricht!
Nur wer sich selbst...
Otto Prechtler