Lebens Zitate (Seite 204)
Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder;
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
Aus dem Komplex zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?
Johann Wolfgang von Goethe
Ach, was soll der Mensch verlangen?
Ist es besser, ruhig bleiben?
Klammernd fest sich anzuhangen?
Ist es besser, sich zu treiben?
Soll er sich ein Häuschen bauen?
Soll er unter Zelten leben?
Soll er auf die Felsen trauen?
Selbst die festen Felsen beben.
Eines schickt sich nicht für alle!
Sehe jeder, wie er's treibe,
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle!
Johann Wolfgang von Goethe
Für ein zufriedenes Leben braucht man neun Dinge:
Genügend Gesundheit, daß die Arbeit Freude macht;
Genügend Wohlstand, um seine Bedürfnisse zu befriedigen;
Genügend Kraft, um mit seinen Schwierigkeiten zu kämpfen und sie zu besiegen;
Genügend Gnade, um seine Sünden zu bekennen und zu überwinden;
Genügend Geduld, um sich zu bemühen, bis etwas Gutes zustandegekommen ist;
Genügend Nächstenliebe, um in seinen Nachbarn etwas Gutes zu entdecken;
Genügend Liebe, um sich zu entschließen, anderen zu...
Johann Wolfgang von Goethe
An das eigne Herz
Daß dich des Lebens Leid und Schmerz
Gleich einem Halm im Sturme wiege,
Gestatt' ich willig dir, mein Herz;
Doch daß du je dich beugst der Lüge,
Vebiet' ich dir!
Dir sei vergönnt, daß stets aufs Neu'
Du allen deinen Reichtum spendest,
Daß aber jemals Lieb' und Treu'
Du wie ein wertlos Gut verschwendest,
Vebiet' ich dir!
Verzeihen darfst du tausendmal,
Was gegen dich die Liebe sündigt.
Doch daß du dich verzehrst in Qual,
Wenn man dir kalt die Liebe kündigt,
Vebiet' ich dir!
Amélie Godin
An die Damen
Es segne euch der Himmel,
Ihr würdige Schönen!
Seid ewig die Wonne
Der Jungen und Alten!
Seid ewig, wie heute,
Das Labsal der Männer!
Ihr laßt euch nur sehen,
So hüpfen schon Herzen.
Ihr zwinget die Alten
Zu Jünglingsgeberden.
Ihr labet die Jungen.
Was ist doch ein Leben,
Das ihr nicht versüßet?
Befragt nur die Männer.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Lieben und Hassen
Hassen ist: Ins Herz den Tod
Mit dem Atem ziehen,
Sehn nur halb des Morgens Rot,
Halb der Blumen Blühen!
Lieben ist: Um sich herum
Gottes Welt verschönen,
Leben im Elysium
Unter Freudentönen;
Haben schon den Himmel hier,
Heiter sehn im Trüben:
Liebe Seele, wollen wir
Hassen oder Lieben?
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
An Leukon
Rosen pflücke, Rosen blühn,
morgen ist nicht heut!
Keine Stunde laß entfliehn –
flüchtig ist die Zeit!
Trink und küsse! Sieh, es ist
heut Gelegenheit!
Weißt du, wo du morgen bist?
flüchtig ist die Zeit!
Aufschub einer guten Tat
hat schon oft gereut!
Hurtig leben ist mein Rat –
flüchtig ist die Zeit!
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Beresina-Lied
Unser Leben gleicht der Reise
Eines Wandrers in der Nacht;
Jeder hat auf seinem Gleise
Vieles, das ihm Kummer macht;
Aber unerwartet schwindet
Vor uns Nacht und Dunkelheit,
Und der Schwergedrückte findet
Linderung in seinem Leid.
Darum laßt uns weitergehen!
Weichet nicht verzagt zurück!
Hinter jenen fernen Höhen
Wartet unsrer noch ein Glück.
Mutig, mutig, lieben Brüder!
Gebt die bangen Sorgen auf!
Morgen geht die Sonne wieder
Freundlich an dem Himmel auf!
Ludwig Giseke
Sieben Tadel
Ich tadelte meine Seele siebenmal.
Das erste Mal, als sie versuchte, mich
auf Kosten der Schwachen zu erhöhen.
Das zweite Mal, als ich vor Verkrüppelten
zu hinken vorgab.
Das dritte Mal, als ich, vor die Wahl gestellt,
das Leichte dem Schweren vorzog.
Das vierte Mal, als ich einen Fehler beging
und mich mit den Fehlern der anderen tröstete.
Das fünfte Mal, als ich, aus Furcht gefügig geworden,
behauptete, groß in der Geduld zu sein.
Das sechste Mal, als ich meine Kleider...
Khalil Gibran